Von Dirk Tölke
Stofflich und visuell nimmt Rosemary Mayer in Ihrem Werk Kontakt auf, zur Geschichte, zu Personen, zur Farbfeldmalerei, zum Raum und zu Betrachtenden. Sie tat dies durch nicht immer mehr erhaltene Textilskulpturen, Zeichnungen, Illustrationen, KünstlerInnenbücher und Performances. Als Gründungsmitglied der ersten kooperativen Galerie von Frauen in New York, der Artists in Residence zählt sie zu den frühen feministischen Stimmen der 1970er Jahre.
Das Gären der 60er Jahre mit seinen Befreiungsbewegungen von diversen Autoritäten und der Abwendung von lähmender Kriegserfahrung brachte Spontanes, Ephemeres, Alltagskundliches, Happening, Performance, Technisches, Modisches, Politisches, Körperliches, Weibliches, Kinetisches, Psychologisches, Optisches, Ornamentales, Elektronisches, Kunststoffe und Warenmarkt in die Kunst. Auch in der Moderne abgewertete Materialien und Techniken wurden erneut aufgegriffen. Seit der Jahrtausendwende wird sichtbar oder besser gegen langen Widerstand ausstellbar, dass Vorurteile den Blick auf Textilien, Keramik, Papier und Glas verstellt haben, die durchaus und durchgehend im 20. Jahrhundert einen Beitrag zur Moderne geleistet haben und nicht nur als überkommenes Kunsthandwerk in traditionellen Spuren verblieben sind. Insbesondere Künstlerinnen haben sich dem Textilen zugewandt und es haptisch und stofflich neu künstlerisch gehandhabt. Die traditionelle Leinwand als gewebter Stoff kam dabei auch zur Wirkung. So auch Rosemary Mayer, die mit armen Materialien zwischen Batik und Informelformwelten geknitterte Reliefleinwände bildete und dann die Farbfeldmalerei in drapierte Stoffbahnen ummünzte. Linie und Fläche als klassische Kunstthemen mischen sich mit der visuellen Alltagswahrnehmung von Haushalt, Wäscheleinen und Schaufensterarrangements, die sie mit einer eigenen Materialsprache versieht. Ihre Farben zwischen ocker, orangebraun und violett sind verwaschen blass, haben etwas Zeitliches, Genutztes an sich, schmiegen sich der Schwerkraft weich, vielleicht weiblich an und bieten sich an für eine psychologisierende Charakterisierung. Durch ihre altphilologische Ausbildung sind ihr in der Suche nach weiblichen Vorbildern historische Frauenfiguren wie Galla Placidia, Hroswitha von Gandersheim oder Katharina von Siena näher, als anderen Textil-Künstlerinnen der Zeit, die sich in Amerika der Pattern-Bewegung zurechnen lassen: farbstark, musterorientiert, patchworkend. Rosemary Mayer arrangiert abseits ihrer spätantikischen Collageillustrationen subtiler, sucht ohne jede anatomiekonkrete Körperlichkeit silhouettig geschichtetes Textilmaterial, volumig raumgreifende Gebärden und auf den Betrachter ausgreifende Formen, die ohne Aggression Kontakt suchen, einbinden, mit durchscheinend offenem Gewebe und zurückhaltender Farbigkeit wohlige, aber doch eher intellektuelle Auseinandersetzung einfordern. Feine Vorskizzen konstellieren die Stoffe. Wissen wir durch die Physiognomie eines klassischen Porträts und die ihm dazu verpasste Mimik mehr über eine Person, als durch ein Arrangement von Stoffen, Spannleinen und Bügeln, durch das, was und wie jemand Kleidung trägt? Hier findet eine Übertragung statt, die ein Bild einer Person schafft. So sind diese Objektarrangements nicht Formspiel, sondern Ausdruckssuche. Die dafür nötigen Trägergerüste bekommen ab den 70ern plastisches Eigenleben. Dann entwickelt die Künstlerin situative Lebendigkeit durch Heliumballons, an denen Drappagen flattern dürfen. Löchrigkeiten und Fetzenhaftes verweisen im Spätwerk auf frei informelle Formen zurück, die sich von jeder Bindung und Rahmung befreit haben.
Daneben spült der Kunstunterricht von Rosemary Mayer zahllose Farbzeichnungen und serielle Skizzen mit märchenhaften Wesen hervor. Ihre Literaturlastigkeit führt zu Buchillustrationen und zu neckisch bunten Beowulf-Illustrationen. Ein nicht ungetrübt heiterer Ton klingt auch hier an, der in der Objektwelt vom Offenporigen und Konturentgrenzten zu Temporärem inklusive Schneefiguren führt und sich die Freiheit nimmt, Grenzen nicht zu sprengen, sondern zu überschreiten.
All das kann man nach und nach erwandern und erspüren, demnächst von einem Katalog informiert und in Bezug gesetzt zu den parallelen Kunstentwicklungen in Amerika, die der Sammlungsbestand des Ludwig Forums hergibt. \
Rosemary Mayer
(1943-2014) war seit den späten 1960er Jahren in der New Yorker Kunstszene aktiv und bis 1969 mit Vico Acconci verheiratet. Sie studierte klassische Literatur am St. Joseph’s College und der Universität von Iowa, wobei sie Latein und Griechisch lernte, lehnte aber ein Stipendium für Harvard ab. Stattdessen studierte sie Kunst an der School of Visual Arts und an der Brooklyn Museum Art School. In den 1970er und 1980er Jahren wurden ihre Arbeiten in alternativen Ausstellungsräumen in New York gezeigt. 1982 übersetzte sie das Tagebuchs des manieristischen Künstlers Jacopo da Pontormo. \
bis 22.5.
Rosemary Mayer – „Ways of attaching“
Ludwig Forum für Internationale Kunst
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