Von Dirk Tölke
Zum Ausstellungskonzept gehören Bestandswerke, die von den Kunstschaffenden ausgewählt und ihren Werken auch auf Vorschlag zugeordnet wurden. So werden selten gezeigte Arbeiten wieder sichtbar und die politische Dimension ihrer Inhalte aus ihrem ästhetischen Dornröschenschlaf von gnädigem „kenn ich schon“ erweckt. Die Werke passen zum Verfahren im Umgang mit Gegenwart, sind nicht Vorbild, sondern vielleicht Teil der Vorgeschichte.
Die Sammlung Ludwig selbst mit ihrem gewachsenen Weltkunstanspruch und früher Aufmerksamkeit für Kunst der DDR, Osteuropas, Asiens und Amerikas gerät in den Blick als Trägerin einer visuellen Orientierung und Einhegung, als marktwirtschaftlich errungene freiheitliche Geste. Kunst, Politik, Kommerz und Kakaoveredlung handelten sich durch die Ludwigs gegenseitig Vorteile ein und schufen doch eine Art Voröffnung. Neue Fragen kommen auf. Z.B.: Wie konnte man Kunst in der DDR erwerben? Seit 1989 erfassen uns intensiver andere Blickwinkel aus östlicher Perspektive.
Die Rolle der Kunst in einer veränderten Gesellschaft, die bisher eurozentristisch die Erfolgsgeschichte des Liberalismus zu sein schien, zeigt sich als durch Gewalt und Kolonialismus erkauft. Ist Freiheit nur durch Unfreiheit anderswo möglich? Auch die Kunst als u.a. repräsentatives Geschehen erweist sich darin als eine Form von gesellschaftlichem Handeln. Ist der abgegrenzte Freiheitsraum der Kunst davon abhängig, in Frage gestellt? Die bisherigen Narrative können so nicht weitererzählt werden, da sie nur die westlichen Konzeptionen von Freiheit enthalten. Als Symptom der zerbrechlichen Beziehung von Freiheit und Unfreiheit wachsen Nationalismen und Verteidigungen von Privilegien. Welche Formen nehmen Geschichten von Gewalt in all den Varianten, die die Künstler disparat thematisieren, in der Gegenwart an und finden in Kunst Visualisierungen? Gewalt gegen Frauen, gegen Minderheiten, gegen andere Völker, gegen Denkweisen, gegen Eigenständigkeit. Wie eingegrenzt ist die Freiheit der Kunst?
Man braucht Zeit, um die Objekte, Videos und Texte in ihrer komplexen Intention zu verstehen. Das lässt sich nicht leichterhand konsumieren, ist aber ansehnlich und wirkmächtig. Die Details der fünf großen politische Skulptur werdenden Mobiliar- und Hausrat-Installationen von Henrike Naumann mit ihren Anspielungen auf Referenzräume wie Stonehenge, Hitlers Berghofkaminzimmer, Angela Merkels Kanzleramtsbüro erschließen sich erst durch Auseinandersetzung. Sie laden ein, dort zu sitzen, räumliche Bezüge wahrzunehmen, komplexe Umdeutungen banaler Inventarien zu lesen und im Mittel der latenten Beeindruckungsarchitektur das Schlummernde und Jämmerliche daran nicht zu übersehen. Deutsche Geschichte, die sich nach dem Krieg in der freien Welt neu positionierte und seitdem immer etwas vor sich hin rechtsruckelt oder mit Russland hadert, ist nur scheinbar postkommunistisch oder postfaschistisch. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“, schrieb Brecht, den Ost und West, wie Picasso, auf selektive Weise rezipierten. Osten, der Teil des Westens wird und die Gegenwart anders wahrnimmt, als unsere freiheitlich demokratische Siegesgewissheit und Fortschrittsdenken, die hinterfragt und zweifelhaft werden. Früher war mehr Zukunft. Im Begriff der Ostalgie vermengt sich Zweifel am marxistischen Sieg des Proletariats mit Widerstand gegen die üble Kolonisierung und Ignoranz der Zeit nach 1989 zu fataler selektiver Nostalgie.
Ein anderer Blick auf die Kunst, unterschiedliche Einschätzungen von „freier“ und „unfreier“ Kunst, Kapitalismus, Sozialismus, Nationalismus, Faschismus, Rechts- und Linksradikalismus, Kolonialismus, Homosexualität, Konzentrationslagern aller Art. Werden Formen bürgerlicher Freiheit verdrängt durch Marktmechanismen, Geldwäsche, Anlageform, Statushebung und Beschwörung nationaler Gemeinschaften und legitim gewählte illiberale Demokratien, die Grundrechte einschränken oder zur Tyrannei der Mehrheit ausarten? Herausfordernd und bildgewaltig.
bis 27.8.
„Illiberal Lives“
Ludwig Forum für Internationale Kunst
Ludwig Forum für Internationale Kunst
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