Sabine Weiss, 1924 in der Schweiz geboren, ist zur Eröffnung ihrer ersten Ausstellung in Deutschland von Paris nach Aachen gereist. Für die Weltreisende ein Katzensprung. Seit ihrer Ausbildung in den 1940er Jahren im besten Genfer Atelier ist die nunmehr 87-jährige Sabine Weiss mit der Kamera unterwegs. Als Assistentin des Modefotografen Willy Maywald, als Bildreporterin für Vogue, Paris-Match, Life, Time, Newsweek und für andere angesagte Magazine. 1955 nahm sie an Edward Streichens berühmter Ausstellung The Family of Man teil, es folgten zahlreiche Einzelausstellungen, nun auch in Aachen.
Rund 110 Fotografien in Schwarz/Weiß geben Einblick in das Werk der kleinen Grande Dame der französischen „photographie humaniste“, die mit ihren knapp 1,50 Meter Körpergröße Großes geschaffen hat. Ihre Bilder sind ganz nah dran, ohne aufdringlich oder voyeuristisch zu sein. Sie zeigt den besonderen Moment im Alltäglichen. In den 1950er Jahren, kurz nach dem Krieg, sind die Spuren der Katastrophe noch sichtbar – hier ein zerbombtes Haus im Hintergrund, dort ein in Lumpen gekleidetes Kind, das barfuß auf der staubigen Straße spielt. In s/w kommt diese spezifische Sozialromantik voll zum Tragen, die wir heute beim Anblick dieser Bilder empfinden, Farbigkeit würde hier nur ablenken. Die Fotografien von Sabine Weiss sind heute Zeugnisse einer Zeit, die es so nicht mehr gibt, vielleicht noch in den vergessenen Regionen des ehemaligen Ostblocks, wo sie in den 90er Jahren ähnliche Szenen fand. Aber auch dort wird in den nächsten Jahren die Digitalfotografie und das WorldWideWeb Einzug halten und damit §22 des Kunsturheberrechtsgesetz das Recht am eigenen Bild.
Erst kürzlich wurden Sabine Weiss in Paris Prügel angedroht, weil sie ein Kind fotografieren wollte, das sie angeschaut hatte. Ausgerechnet bei einem Kind – ihrem großen Thema! Sie erzählt von einem der drei Jungs, die 1952 auf einem selbstgebastelten Bretter-Skateboard die Straße herabrasten und der sie heute als alter Mann ab und an besucht und Schokolade mitbringt. Und von den Kindern der Gypsies, die ganz ungezwungen tanzen, als sie mit ihrer Kamera vor ihnen steht. Sie geht nicht zu den Motiven, die Motive kommen zu ihr.
Die Fotografien mögen auf den ersten Blick unspektakulär wirken – wieder eine Reportagefotografin, die es ins Museum schaffte – aber beim näheren Hinschauen zeigt sich die Qualität. Die handwerkliche Perfektion, die richtige Belichtung, der perfekte Moment, den man erahnen muss, bevor er eintritt. Aus Aachen hat Weiss wohl mindestens zwei Fotos mitgenommen: den skurrilen Gartenzwerg in der Schreinerei des Museums und das Selbstporträt, das ihr beim oben beschriebenen Fotoversuch abgerungen wurde.
bis 30.10.
Sabine Weiss –
Fotografie aus fünf Jahrzehnten
Suermondt-Ludwig-Museum
suermondt-ludwig-museum.de
Rahmenprogramm:
24.9.
Komm, spiel mit uns! Workshop für Kinder 6-12 Jahre
15-17.30 Uhr,
Suermondt-Ludwig-Museum
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