Der Blick auf die Moderne ist oft länderspezifisch. Er hängt nicht nur vom Geschmack ab, der erst noch gebildet wird, wenn es um die Moderne geht, sondern auch von den Sammlungsbeständen und den in Veröffentlichungen darüber immer wieder gezeigten Werken. Jetzt ist in den Niederlanden eine Französische Modernesammlung zu sehen, die kaum Franzosen aufweist, vielleicht, weil die Auswahl aus dem Pool auch wieder spezifisch ist. Zahlreiche von 1.500 Werken zeitgenössischer Kunst der Arte Povera, der Minimal Art, der Conceptual Art, des New Realism, der Pop Art und des Fluxus – das machen möglich: die grandios in edelschlichter Rohbauästhetik umgebaute Timmerfabriek in Maastricht, das vermittelnde Marres Centre for Contemporary Culture und der ausstellende FRAC Nord-Pas de Calais. FRAC, das ist der Fonds Régionaux d’Art Contemporain.
Als Frankreich 1982 in 26 dezentrale Regionen unterteilt wurde, begann man auch in jeder Region eigene öffentliche Sammlungen zeitgenössischer Kunst einzurichten und finanziell durch Staat, Stadt und Region zu fördern, um in einer postindustriellen Gesellschaft die Regionen mit Gegenwartsentwicklungen zu konfrontieren. Seit 1983 wird gesammelt, was eine internationale bestückte Jury einstimmig als relevant einstuft. Zunächst erwarb man Werke der Moderne seit den 50ern, um die noch kaum gewonnene Akzeptanz zu erzeugen und Verständnis zu schaffen für die nicht leicht zugänglichen Strömungen einer sich globalisierenden Welt und ihrer Anfänge. Von Anfang an ging es um Auseinandersetzung, die nicht gescheut werden soll und an bedeutenden künstlerischen Aussagen lohnende Horizonterweiterungen bietet. Es geht darum, regional globale Entwicklungen zumindest in der Kunst und Bildsprache nachvollziehbar zu machen. Entsprechend wurde die Sammlung in den 90ern durch neue Medien und Design erweitert und bis in die unmittelbare Gegenwart in einer Breite fortgeführt, die man im Ludwig Forum nur noch gelegentlich spürt. Aachen kann mit den Dimensionen dieser Präsentation nicht mehr mithalten, die etwas von einem Freizeitpark für Kunst hat. Die Timmerfabriek ist Teil der historischen Sphinx-Keramikfabrik und ist mit über 5.000 Quadratmetern Fläche einer der größten Industriebauten in der Region.
Out of Storage trägt neben wechselnden Ausstellungen ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm, das Vermittlungs- und Forschungsprojekte, Workshops, Vorträge, Diskussionen und Performances umfasst. Man bekommt Einblicke, wie sich die Dynamik einer sammelnden Kunstinstitution entfalten kann und zeigt die Aspekte auf, die dabei sonst kaum sichtbar werden. Der Besucher kann mehrere Routen durch die Ausstellung wählen, die es ihm erlauben, den Blickwinkel verschiedener Experten anzunehmen, ihre Perspektive zu „teilen“. Die Bereiche Restaurierung, Vermittlung, Forschung und Präsentation sind alle während des Ausstellungsrundgangs zugänglich und machen das Sammeln und Bewahren, das Vermitteln und das Schützen von Kunst, die alltäglichen Aufgaben einer Kunstinstitution für eine begrenzte Zeit transparent. Man kann auch überall ausliegende Fotokopien der Objekte mitnehmen und sich seinen persönlichen Katalog zusammenstellen. Großzügig präsentierte Kunstwerke zum dran Knabbern. Nichts erschließt sich ohne Mühe. Da helfen nur die Seh-Erfahrung, die Diskussion mit Betrachtern, die Befragung des Personals und die drei Bestandskataloge des FRAC, wenn man Kenntnisse in Englisch, Niederländisch oder Französisch hat. Es lohnt sich, die deutsche Sicht auf die Moderne, die durch die hiesigen Sammlungen, Schulen und Bildbeispiele geprägt ist, durch derlei Grenzüberschreitungen bewusst zu machen und zu erweitern. /// Dirk Tölke
bis 18.12.
„Out of Storage“ – FRAC Nord-Pas de Calais
Timmerfabriek Maastricht (NL)
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