Von Dirk Tölke
Franz Erhard Walther (*1939) erhielt den Aachener Kunstpreis 2016 und als bester Künstler den Goldenen Löwen der Biennale Venedig als späte Würdigung seines Lebenswerks. Eine Ausstellung im Ludwig Forum bringt es anlässlich der Preisverleihung näher.
Die Ausstellung ist so kompakt, wie die meist textilen Arbeiten von Franz Erhard Walther. Sie haben in ihrer Farbwahl und der Präzision ihrer handverarbeiteten Ausführung die Anmutung von Weich-Edge-Minimalismus.
Durchaus wirken sie, wie auch die aquarellierten Zeichnungen des ersten Werksatzes (1963-69) kompositorisch eigenständig, aber ihr Hauptzweck besteht in der Nutzung als Werkzeuge zur Erkenntnis. Wie viele seiner Zeitgenossen ging es Walther um die Erweiterung der Kunst zur Mitmach-Aktion, um Partizipation der Betrachter, die die Objekte für eigene grundsätzliche Erfahrungen benutzen sollten, was heute in musealisiertem Kontext nicht mehr konservatorisch schicklich erscheint. Die Form der Arbeiten beschränkt ihre Nutzung auf bestimmte Möglichkeiten, die auch als notierte Handlungsanweisungen zum Aktionskunstwerk dazugehören.
Man erfährt mit neuer distanzierter Aufmerksamkeit durchaus banal erscheinende Wirkungen handelnd am eigenen Leib: Sich im proportionalen Verhältnis zum Werk oder zum Anderen, Raumabmessungen, Spannungen einer Gegenüberstellung, Zeitverläufe, Geometriezusammenhänge, Hauterlebnisse. Falten, Überstülpen, Spannen, Stehen, Harren, Schreiten (Stand- und Schreitbahnen des 2. Werksatzes 1971/1972, buchstabenorientierte Körperskulpturen des 3. Werksatzes 1973-78) sind vom Künstler gesetzte Handlungen, die durch die Form und Dimension der Werkstücke einen Handlungsraum definieren, in dem spezifische Körpererfahrungen gemacht werden können, etwa seine 55 Handlungsbahnen 1997-2005.
Das entspricht der Arbeitsweise zeitgenössischer aktionsorientierter Musiker im Umfeld von John Cage seit den 1950er Jahren, die Improvisationsfreiheit und Zufälle zulassen und einbinden, aber statt zielloser Collage in ihrer Notation die zeitliche Abfolge der Geschehnisse genau festlegen und so statt Beliebigkeit eine Komposition erzeugen, die ein wenig aktuelle Gegegnwart einbindet.
Die zahllosen Fragen und Ideen, die in den Zeichnungen zum 1. Werksatz durchgespielt werden, machen die Ernsthaftigkeit dieser Auseinandersetzung von Walther deutlich und erweisen sich als kluge Anregung für die Wahrnehmung der Welt. Kein Kunstwerk als Endprodukt wird einem mehr geboten, sondern ein Wahrnehmungs- und Denkwerkzeug für ORT, RICHTUNG, KOERPER, INNEN AUSSEN, BEWEGUNG, RAUM und ZEIT (Sieben Orte für Hamburg 1989).
Dass damit der Kunstmarkt seine Probleme hatte und die Akzeptanz von Textilien als Material einer Avantgardekunst zögerlich war, mag zu seiner späten Würdigung beigetragen haben. \
bis 29.10.
„Franz Erhard Walther – Handlung denken“
Ludwig Forum für internationale Kunst
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