Von Dirk Tölke
Abstrakte Anmut und naturhafter Flair durchwirken die Objekte und Installationen aus Draht und Papier, in denen Sabine Jacobs eine kontinuierliche Vertiefung ihrer Naturbeobachtung ausdrückt, ohne Natur nachzuahmen. Sie gewinnt unscheinbaren Pflanzen, Tieren und Naturprodukten durch analytisch-intuitive gestalterische Verwandlung Eindrücklichkeit ab.
Die Basis bildeten Zeichnungen, denen genaue Beobachtungen von Pflanzen zu Grunde liegen. Jahrelange wissenschaftliche Illustrationen haben das Vermögen zu illusionistischer Genauigkeit grundgelegt, Glasmalereientwürfe mit ihren Bleirutenvereinfachungen, die die Gefachestruktur ihrer verflächigten Liniennetze aus Draht vorbereitet. Die Objekte der Ausstellung haben sich längst zu intuitiv-abstrakter Vergesellschaftung von Formwelten aufgeschwungen, die Naturprinzipien verinnerlichen und ausdrücken.
Die seit 2010 nicht mehr vorgezeichneten, sondern frei handgeführten und von der Physik der Spannungen im Metall mitbestimmten Richtungsentwicklungen der Drähte, haben ihren systematischen Anfang, einen formalen Grundaufbau und eine in Serien entwickelte Größen- und Formbeschränkung. Ihre Drahtkonturen durchdringen und verknoten sich zu stabil schwebenden Membrankörpern, die mit Japanpapier ausgefüllt und mit Pigmenten und Ölen verdichtet, durchschimmernde Flächen ausbilden, in Weiß, Braun, Blau, Grün, Gelb, umkäntelt von einem Rostanflug der klebmittelbefeuchteten Drähte. In der Farbe jahreszeitlich bestimmtes, gelebtes Leben scheint subtil auf, als Wandobjekt, in Kleinserien als „lines in touch“, als spiralig zu sich zurückgewendete „follow flow“, als „middle“ oder „around“, gar als figürlich anmutende Wesen, die sich in den Raum erstrecken. Das Großgebilde „Fließ“ durchzieht installativ den Raum, als kraftvoll sich ergießender Lebensquell, als synonym für den Fluss Wurm und seinen wieder renaturierten Lauf. Formvarianz erwirkt hier die Lebendigkeit.
So sind die Objekte der Serie „around“ jeweils aus 21 handmaßbestimmten „Bögen“ von ungleichmäßig verflochtenen Drahtnetzen gebildet, die ebenso ungleichmäßig situativ mit Papier ausgefacht werden. Zu einem Streifen aneinandergefügt und zusammengerollt ergibt sich die Grundform mit jedesmal anderem individuellem Charakter. Kontrollierter Zufall und kompositorisch konzeptuell gebundene Spontaneität, beziehungsweise Mitempfinden ergibt sich hier aus einer Fülle von Variationen einer entschiedenen Grundform, die nicht das Geringste mit Technik, Seriellem und Massenproduktion zu tun hat, dafür viel mit Evolution und Mutation. Die Formwelten bleiben, im Wachsen begriffen, offen, schweben und drehen sich im Wind. Es ist das empfundene und widergespiegelte „Prinzip Natur“ und nicht Formwille, der übergriffig wird. Die stärker in den Raum ausgreifende Gestaltung der Gebilde lässt deren Schatten zur Wirkung kommen.
Das umformende Einfühlungsvermögen der Künstlerin erweist sich auch in der geschichteten Reaktion wandfüllender Zeichnungen auf Musik, Tanz oder Persönlichkeit, als Notationen einer Begegnung oder Erfahrung, die sich in der Zeit entwickelt, im Bewusstsein gefiltert wird und in choreographischen Bewegungskürzeln komplex notiert, völlig buchstabenlos, aber zeichenaffin niedergeschrieben wird. Empfindsam und wirkmächtig lassen auch die Graphitzeichnungen vielfache sinnliche Eindrücke ihren Ausdruck in linearen und flächigen Verteilungsstrukturen finden, die nicht mehr auf abbildhafte äußerliche Natur reagieren, sondern auf innere Bilder mit Kulturkürzeln und neuen Bildbegriffen antworten. Amorphe Samen, Stengel, Gräser; kraftvoll Weidenhaftes und zart Vergehendes. Kunstvoll sensibilisierend. \
Sabine Jacobs
ist 1966 in Aachen geboren und wohnt bei Monschau. Sie studierte an der FH Aachen, Fachbereich Design / Grafik-Visuelle Kommunikation bei Prof. Dr. Ulf Hegewald. Seit ihrem Examen 1993 ist sie freischaffende Künstlerin mit dem Schwerpunkt Zeichnung, konstruktive Plastik, Installation. 1995 gestaltete sie für St. Peter in Aachen zwei Triptychen zur Kommunikation der Bruderreligionen Judentum, Islam und Christentum: Seit 2014 hat sie ihr Atelier im werkplaats K in Kerkrade. 2016 erhielt sie den „Marlies-Seeliger-Crumbiegel Preis“. \
bis 11.8.
Sabine Jacobs – „amorphe“
Forum für Kunst und Kultur , Herzogenrath
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