Von Richard Mariaux
Auf die Schiffe ihr Philosophen, es gibt noch eine andere Welt zu entdecken!“ – Diesem Ausspruch Friedrich Nietzsches ist der promovierte Philosoph Jürgen Kippenhan verpflichtet. 2009 bezog er mit seinem Logoi-Team, bestehend aus Susanne Vaaßen und Ines Finkeldei, die Räume in der Jakobstraße.
Logoi, dem Institut für Philosophie und Diskurs, kommt letzterer – bedingt durch die weltweite Epidemie – etwas zu kurz. Nach dem monatelangen Lockdown der Kultur wird diese nun langsam – begleitet von aktuellen Rückschlägen – wieder hochgefahren: alternativlos, um eine Gesellschaft wieder in die Spur zu bringen. Kippenhan findet diese Entwicklung aus philosophischer Sicht natürlich spannend: „In welche neue Lage bringt das die Welt? Das ist eine Grenzsituation für Menschen, die für Philosophen hochinteressant ist.“
Neben der Existenzangst durch drohenden Arbeitsplatzverlust, einer Covid-19-Erkrankung in der Familie oder unter Freunden ist der Verzicht auf gesellige Feiern und Kulturevents für manche Menschen eher sekundär. „Der Mensch befindet sich eigentlich in der Bewältigung von Krisensituationen und später weiß man dann, was die Schlüsselsituationen des eigenen Lebens waren. Vorher bewegte sich gesellschaftlich ja auch nicht viel. Man war den üblichen Belastungen und Routinen – beruflich wie privat – ausgesetzt. Die jetzige Situation löst dann zum Teil manche Verkrustung auf und bietet die Möglichkeit, etwas daraus zu machen“, bilanziert Kippenhan.
Aber wie verändert sich eine Gesellschaft, wenn die Kultur marginalisiert wird? „Die Verknappung von Kultur steigert einerseits die Aufmerksamkeit in dem Moment, in dem wir nicht dauernd überflutet werden, in dem nicht immer alles vorhanden ist – Theater, Kino, Konzert, Ausstellung. Andererseits existiert eine Angst, die man auch gut begründen kann. Obwohl unsere Gesellschaft für Krisenzeiten besser abgesichert ist als früher oder anderswo, steigt das diffuse Angstgefühl. Man merkt, die Welt ist nicht mehr so berechenbar. Trotz Komfort durch Hightech spüren ältere Menschen ihre körperliche Verletzbarkeit.“
Diese diffuse Angst ist vielleicht eher ein deutsches Phänomen – die berüchtigte „German Angst“. In südlichen Ländern wird in der Corona-Krise der Verlust der körperlichen Nähe eher tragisch aufgefasst als ängstlich reflektiert. Eine dazu passende Reflexion liefert der Soziologe Heinz Bude, dessen neuestes Werk „Das Gefühl der Welt. Über die Macht von Stimmungen“ auf Einladung von Logoi am 12. November gemeinsam mit Jürgen Kippenhan und der Bürgerstiftung Lebensraum Aachen erörtert wird.
Bude live, nicht zum ersten Mal auf Einladung von Logoi in Aachen, wird zwar nur für wenige Menschen inmitten eines Tischgesprächs möglich sein, doch Logoi nutzt die ganze Palette der Kommunikationsformen in Zeiten der Pandemie. Ines Finkeldei: „Die Kultur wurde total ausgebremst und alle überfiel ein Gefühl der Lähmung. Da wollen wir als Institut für Diskurs gegensteuern. Unter Hinzunahme der digitalen Veranstaltungsformen fahren wir zweigleisig. Mit wenigen Menschen in unserem Ladenlokal, aber der Möglichkeit des Livestreams mit Kommentarfunktion, um sich an dem Gespräch zwischen Bude und Kippenhan zu beteiligen. Auch unsere Kunstausstellungen haben wir aufgrund der Abstandsregeln anders gestaltet. Es gab mehrere Galerie-Wochenenden, der Künstler (Joachim Griess) war hier, man konnte Einzelführungen buchen. Das Ergebnis war die bestbesuchteste Ausstellung, die wir je hatten!“
In Aachen ist Logoi eine nicht wegzudenkende Institution, in der nicht nur Erklärungsversuche für die Welt stattfinden, sondern auch Kunst angeboten wird. Die „Aachener Kunstroute“, die „Lange Nacht der Museen“, die „Jüdischen Kulturtage“, die Zusammenarbeit mit dem Ludwig Forum – zum Beispiel im Rahmen der 68er-Ausstellung –Logoi mischt bei vielen Formaten mit. Renommierte Gäste waren unter anderem die Schriftstellerinnen Siri Hustvedt und Janne Teller, die ZEIT-Literaturkritikerin Iris Radisch, die Philosophin Svenja Flaßpöhler oder Gert Scobel von der 3sat „Kulturzeit“: Veranstaltungen, die oft mit viel Esprit das geistige Niveau in dieser Stadt anheben, wechseln sich ab mit regelmäßigen Formaten wie dem „Philosophischen Salon“, der „Philosophischen Matinee“, dem „Philosophischen Radio“ oder dem „Philosophischen Tischgespräch“. \
AUFPRALL
Aktuell ist auch ein Westberliner Hausbesetzer-Roman der 80er Jahre von Heinz Bude in Co-Autorenschaft mit Karin Wieland und Bettina Munk erschienen.
Alle Infos zu Uhrzeiten und Anmeldungen entnehmen Sie der Webseite. \
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