Pam entflieht in der Pubertät ihrem einengenden Elternhaus in Washington, D.C. und stürzt sich in in New York in unterschiedliche Karrieren als Punkmusikerin und Programmiererin. Mit dem Punk klappt’s zwar nicht, aber eine zunächst musikalische Begegnung mit Daniel führt letztlich zur schnellen Geburt einer Tochter (Flora) und einer stabilen, über Jahrzehnte dauernden Beziehung. Vor Daniel hatte sie noch den Musiker Joe kennen gelernt, der aufgrund seiner schrägen Ideen eine passable Indie-Rockkarriere hinlegt, die seine Freunde Pam und Daniel (als sein „Manager“) aufgrund ihrer Elternschaft allerdings nur am Rande mit erleben. Mit 9/11 und dem Drogentod von Joe am gleichen Tag gibt es einen abrupten Cut im Erzählstrang von Nell Zink.
Jetzt ist Flora an der Reihe: Man begleitet sie beim Aufwachsen, über die Uni hinaus bis zu ihrem politischen Engagement für Umwelt-NGOs beziehungsweise ihrer aufopfernden Unterstützung für die US-amerikanischen Grünen, die dort nur ein Schattendasein fristen. Ein gewisser Donald Trump gewinnt die Präsidentschaftsnominierung der Republikaner. Pam lässt ihre Eltern auch wieder am Leben von deren Enkeltochter Flora teilhaben – ihr Verhältnis zu ihrer eigentlich liberalen Mutter Ginger entspannt sich vollkommen. Das ist der große Bogen, der mit einer wiederum (ungewollten) Schwangerschaft Floras und ihrer Entscheidung zwischen zwei „Vätern“ endet.
„Das Hohe Lied“ hat leichte Längen. Die Ausleuchtung der Charaktere wie zum Beispiel das Hipstertum von Daniel wirken oft konstruiert. Andererseits überzeugt Nell Zinks oftmals ironisierende Sprache. Ihre Seitenhiebe gegen das politische Establishment oder das Musikbusiness sind erfrischende, spitz formulierte, manchmal allerdings zu insiderhafte Dialoge innerhalb des eigentlichen Romangeschehens. US-amerikanische Politik, Kultur und Wirtschaft prägen überdurchschnittlich stark die unterschiedlichen Lebensläufe von Pam und Flora. Und damit wirft die amerikanische Autorin Nell Zink, die seit mehreren Jahren nach Stationen in Tel Aviv und Tübingen jetzt in Brandenburg lebt, einen bemerkenswerten Blick von außen auf die US-amerikanische Gesellschaft. \ rm
Nell Zink
„Das Hohe Lied“
Rowohlt
508 Seiten, 25 Euro
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