Musikjournalismus ist ein spät berufenes Kind. Seine Anfänge waren unbedeutsam. Im Gegensatz zum Feuilleton, das die Hochkulturen Theater, Literatur und Kunst dokumentierte, feierte oder zerriss, hatte der Musikjournalismus erstaunlich wenig Eigenständiges zu einer gesellschaftlichen Explosion beizusteuern, welche durch den Jazz, Rock‘n Roll und die Musik der 60er Jahre ausgelöst wurde.
Noch desaströser war es um die gesellschaftliche Akzeptanz weiblicher Autorinnen im Gefolge männlicher Heerscharen im new pop journalism bestellt. Mit dem Erscheinen von Punk etablierte sich allerdings beim britischen New Musical Express eine scharfzüngige, keinem Krawall aus dem Weg gehende Autorin namens Julie Burchill. Einen anderen Weg nahm die ab Anfang der 70er Jahre schreibende, im Allgäu geborene Ingeborg Schober. Ihre Texte inszenierten sich nie zum Selbstzweck. Im Gegensatz zu vielen männlichen Kollegen waren ihr Egomanie und der Hang zum sprachlichen Scharfmachertum völlig fremd.
Ingeborg Schober verfügte über ein enormes Fachwissen und schrieb sowohl Rezensionen als auch Reportagen. Interviews führte sie unterem mit Kate Bush, Cockney Rebel, Kevin Ayers, den Sparks, Queen oder XTC. Allesamt erschienen diese Texte zwischen 1972 und Anfang der 80er im Musikmagazin „Sounds“, das mit Beginn der Punk- und New Wave einen radikalen Wechsel in Bezug auf die Schreibe über Rockmusik vollzog. Früh schrieb Ingeborg Schober mit Neugierde und Sympathie über die neue Wirksamkeit und künstlerische Kraft der elektronischen Musik. Angefangen bei Brian Eno, Kraftwerk und Tangerine Dream recherchierte sie 1979 bei zwei langen Besuchen über die neue Düsseldorfer Szene um Neu!, La Düsseldorf, D.A.F., Cluster, Harmonia und Michael Rother.
Spätere Texte von Ingeborg Schober erschienen im „Musik Express“ oder längere Essays in der damals von Rowohlt jährlich mit einem Band herausgegebenen Reihe „Rock Session“.
Bela B. von den Ärzten bringt die damalige Strahlkraft von Ingeborg Schober in einem 2020 mit der Süddeutschen Zeitung geführten Interview auf den Punkt: „Ich lernte damals immerhin unseren späteren Bassisten Rod kennen, der damals noch bei den Rainbirds spielte. Mit dem ging ich dann zu einer Geburtstagsfeier der Münchner Musikjournalistin Ingeborg Schober. Als Musikfanatiker war ich Fan ihrer Texte über Musik. Daran erkennt man vielleicht auch, wie sehr Musik an Bedeutung verliert. Früher waren sogar Musikjournalisten Stars. Heute kennen die Leute kaum noch den Namen des Bassisten.“ \ rm
Ingeborg Schober: „Die Zukunft war gestern“
Essays, Gespräche und Reportagen
Hg. von Gabriele Werth
Reiffer Verlag
396 Seiten, 24 Euro
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