Man wollte eigentlich gar nichts mehr von ihm lesen, von dem französischen Starautoren Michel Houellebecq. Seine Romane voller Misogynie, Sexismus, seine durch die Texte raunende Islamfeindlichkeit, seine zynischen Auslassungen über das freudlos-reaktionäre Leben seiner mittelalten weißen männlichen Franzosen der Mittelklasse (wo man sich den Autor immer mitdenken wollte), die nicht mehr so recht in der Welt Fuß fassten…
Aber die Neugierde auf „Vernichten“ wuchs dann doch mit dem Feuilleton-Gossip, der aus Frankreich rüberschwappte, auch wenn der Zeitpunkt der strategisch geplanten Veröffentlichung in Frankreich wie Deutschland auf den gleichen Tag fiel. Irgendjemand in Paris hatte wohl schon reingelesen, davon gehört oder konnte bereits verifizierbare Inhaltsangaben liefern.
Und nun? Ja, „Vernichten“ ist ein außergewöhnlich zarter, hoffnungsvoll stimmender Houellebecq. Ein Roman als eine Art Familienaufstellung inmitten des französischen Wahlkampfs um die Präsidentschaft im Jahre 2027, aber mitnichten Science Fiction - sieht man mal von der anfangs parallel laufenden Geschichte um irgendeinen weltumspannenden Cyberterror ab, der nicht so recht einer bestimmten politischen Gruppierung zuzuordnen ist und der sich im Verlauf des 620 Seiten starken Romans auch im Nebel auflöst.
Existentiell im wahrsten Sinne des Wortes ist hier die ein Jahr umfassende Lebens- und Krankheitsgeschichte des Protagonisten Paul, Berater des Wirtschaftsministers. Als ältestes von drei Geschwistern ist er auch derjenige, der nach schwerer Krankheit des Vaters den Zusammenhalt in der Familie wieder herbeizuführen versteht. In seiner eigenen, seit Jahren eigentlich zerrütteten Ehe kommen wundersam wieder zarte Knospen der Wiederannäherung an seine Frau zum Vorschein. Bis seine eigene Krebserkrankung, und die auf den letzten hundert Seiten verhandelten Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Liebe und dem Tod dem von Zynismus bis dato erstaunlich freien Roman einen neuen, letzten Aufschlag eröffnen.
Eine kleine Bombe lässt Houellebecq in der Danksagung am Buchende platzen: „Grundsätzlich sollten französische Schriftsteller nicht davor zurückschrecken, mehr zu recherchieren; es gibt viele Menschen, die ihren Beruf lieben und den Laien gerne erklären, was sie tun. Ich bin glücklicherweise gerade zu einer positiven Erkenntnis gelangt; für mich ist es Zeit aufzuhören.“ / Richard Mariaux
Michel Houellebecq
„Vernichten“
Dumont Buchverlag
624 Seiten, 28 Euro
Fotocopyright: © Philippe Matsas / Flammarion
Buchkritik der Aachener Zeitung
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