Von Richard Mariaux
Das Jahr 2021?war das bereits zweite von der Pandemie beherrschte Jahr. Lockdown, die G-Reglements, das vorsichtige Agieren der meisten Mitmenschen, vor allem ihre Zurückhaltung bei Veranstaltungen in Innenräumen brachten nicht nur dem Einzelhandel, der Gastronomie und den vielen verschiedenen Bühnen enorme Einbußen. Wie sah es mit dem Kulturgut „Buch“ aus, und welche Romane lasen die Deutschen und speziell die Aachenerinnen und Aachener in diesem Jahr?
Das Positive vorneweg: Der Umsatz auf dem deutschen Buchmarkt hat 2021?um 3,2?Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Das belegen die ersten vorläufigen Zahlen, die der Börsenverein des deutschen Buchhandels im Januar veröffentlicht hat. Es lief sogar besser als vor der Pandemie, denn gegenüber 2019?legte der Buchmarkt-Umsatz um 0,8?Prozent zu. Laut Ranking von Media Control entsprach das 273?Millionen verkaufter Bücher.
Die Buchhandlungen vor Ort haben unter den Schließungen im Frühjahr allerdings gelitten; der Börsenverein spricht bundesweit von einem Umsatzminus von 3,1?Prozent gegenüber 2020, sogar von 11,5?Prozent gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019. Die Krisengewinnler sind also sicherlich die großen Online-Anbieter, neben Amazon vor allen Dingen die Buchhandelsketten Thalia, Hugendubel und Weltbild. Thalia beendete beispielsweise das Geschäftsjahr 2020/21?mit einem Umsatzplus von sieben?Prozent.
Aber was genau wurde denn im letzten Jahr in Deutschland gelesen? Sachbuch, Kinder- und Jugendliteratur bleiben außen vor. Wir konzentrieren uns auf die Belletristik: Wenig überraschend, dass die 2021?erschienene Taschenbuchausgabe von „Der Gesang der Flusskrebse“ der amerikanischen Schriftstellerin und Zoologin Delia Owens auf Platz 1?landete. Unfassbare knapp 700.000?Verkäufe hierfür vermeldete Media Control.
Auf Platz 2?gewohnt routiniert und erfolgreich auch Juli Zeh: „Über Menschen“, als eine Art Corona-Roman mit der Flucht aus der infektiösen Großstadt aufs vermeintlich sichere Land konzipiert, geriet ihr im Gegensatz zu ihrem Bestseller „Unter Leuten“ zwar zum literarisch deutlich schwächeren Roman – was den Verkaufserfolg jedoch keineswegs schmälerte.
Überraschungsarm auch die Top 20?Belletristik des Börsenvereins des deutschen Buchhandels. Mit ganz oben – Krimiautor Sebastian Fitzek („Playlist“), Thriller von Jussi Adler-Olsen („Natrium Chlorid“), Ken Follett („Never – Die letzte Entscheidung“), Nele Neuhaus („In ewiger Freundschaft“), Simon Beckett („Die Verlorenen“). Neu im Bunde die beiden Umweltkrimis des Drogerieketten-Tycoons Dirk Rossmann („Der neunte Arm des Oktopus / Der Zorn des Oktopus“).
Literarische Hausmannskost im Genre „Fantasy und Romantasy“ sind Kerstin Giers Roman „Vergissmeinnicht. Was man bei Licht nicht sehen kann.“, „Die Mitternachtsbibliothek“ von Matt Haig sowie die mit „Die verschwundene Schwester“ als siebtem Band abrupt endende Reihe der im Sommer 2021?verstorbenen Nordirin Lucinda Riley.
Was fehlt?
Zum Beispiel der klassische Coming-of-Age-Roman. Hier schafften es zwei – mal besser, mal schlechter geschrieben – in die Top 20: Benedict Wells’ „Hard Land“ und Ewald Arens’ „Der große Sommer“.
Doch auch eine anspruchsvollere Literatur findet ihre Leserschaft auf dem Markt: Das zeigt Helga Schuberts biografischer Erzählband „Vom Aufstehen“ – die Lebens- und Gedankenwelt einer 80-jährigen Psychologin in der DDR, die sich stark am Staat und an ihrer 101?Jahre alt gewordenen Mutter abarbeitet.
Judith Hermann („Daheim“) und Bernhard Schlink („Die Enkelin“) sind alte Bekannte im deutschen Literaturbetrieb.
Die Debütromane des Schauspielers Edgar Selge („Hast du uns endlich gefunden“) sowie die jüdische Familiengeschichte um einen verschollenen Kunstschatz, „Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“, von Alena Schröder sind weitere Beispiele literarisch anspruchsvoller Romane.
Vermisst in dieser Liste habe ich den identitätsdiskursiven und rassismuskritischen Roman „Identitti“ von Mithu Sanyal, „Dunkelblum“, das stimmenstarke Psychogramm eines österreichischen Dorfes während und nach der NS-Zeit von Eva Menasse sowie den kürzlich zum „Krimi des Jahres“ prämierten Roman „Die Experten“ von Merle Kröger, der weniger Krimi als ein packend literarisch nachgezeichnetes Zeitdokument der Arbeiten deutscher Atombombenforscher nach dem 2. Weltkrieg in Ägypten ist. Auch von US-Schwergewichten wie Jonathan Franzen und Stephen King fehlt in den Top 20?jede Spur – und von dem besten Science-Fiction-Roman zur globalen Erderwärmung, „Das Ministerium für die Zukunft“ von Kim Stanley Robinson – ein nicht nur von Barack Obama empfohlenes Buch.?\
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