Interview: Richard Mariaux
Den Rahmen in „Rückkehr“ bildet der Protest gegen die vom aufkommenden Massentourismus zunehmend befeuerte Zerstörung einer Alpenlandschaft, die in der Jugend des Protagonisten in einem Alpendorf begann. Doch genauso intensiv beleuchtet Willi Achten die unglückliche Liebe des Ich-Erzählers zu einer Dorfschönheit, das schwierige Verhältnis zu sei-nen Eltern und das Scheitern von deren Ehe.
Jakob Kilv kehrt im Sommer 1995 nach 20 Jahren in dieses Dorf und das mittlerweile verlassene Elternhaus zurück. Der Vater ist verstorben, die Mutter nach Skandinavien ausgewandert. Mithilfe szenischer Rückblicke versucht Jakob, im Kontakt zu seiner alten, im Dorf verbliebenen Clique die genauen Umstände herauszufinden, die in der damaligen Protestbewegung zu einem verheerenden Brand mit zwei Toten geführt haben.
Sie sind am Niederrhein geboren und aufgewachsen und leben seit langem in Vaals. Welche Beziehung haben Sie zu den Alpen?
Ich bin sehr oft in den Alpen, wandere dort schon seit 30 Jahren, aber war zuvor auch in der Kindheit mit meinen Eltern dort. Ich bin ein passionierter Bergwanderer, habe mir dort viele unglaublich schöne Wege erwandert. Oft in Süd- und Osttirol. Manche sagen, ich hätte eine Form von Berg-ADHS. Ich glaube, das stimmt. Berge ziehen mich an, auf einige muss ich rauf.
Fast ist es die Bergwelt selbst, die dortige Fauna und Flora, die die Hauptrolle des Romans innehat. Sind die Berge für Sie ein Sehnsuchtsort, ein Mysterium?
Die Berge sind unbedingt ein Sehnsuchtsort, hier im Roman spiegeln die Naturbeobachtungen und -schilderungen oft aber auch das Innenleben der Figuren. Niemand nimmt ja Natur wahr, ohne dass es durch den Filter der eigenen (unbewussten) Befindlichkeit gefärbt wird.
Der Vater des Protagonisten Jakob ist Ornithologe, beruflich tüftelt er an diversen Möglichkeiten, die Vogelwelt von Flugplätzen fernzuhalten. Auch privat beschäftigt er sich mit der Wiederansiedlung von Bartgeiern in den Bergen. Woher haben Sie selbst die ornithologischen Kenntnisse über die im Buch vorkommenden zahlreichen Vogelarten in den Bergen?
Ich habe tatsächlich viel recherchiert, bin etwa auch in Ramsau gewesen, wo die Bartgeier wieder angesiedelt wurden. Habe das hautnah mitbekommen,
stand im Austausch mit Toni Wegscheider, dem Leiter des Projektes. Ansonsten war ich immer schon ein Vogelliebhaber. Mich haben immer Zugvögel beeindruckt. Ihr ungeheurer Instinkt, das wiederzufinden, was sie verlassen haben. Ihre Unruhe, ins Weite aufzubrechen. Ihre Zuversicht zurückzufinden über zehntausende Kilometer. Ihr Zugehörigkeitsgefühl für eine Region, einen Ort, einen Brutplatz – sie setzen alles daran zurückzukehren. Wirklich alles. Weder der Dschungel, noch die Wüste, noch das Meer lassen sie zögern, sich aufzumachen. Zugvögel im Besonderen sind eine schöne Metapher für das, was auch Jakob antreibt.
Der Plot handelt auch von ortsansässigen gierigen Spekulanten, die die Bergwelt oberhalb des Dorfes sogar mit Sprengungen für den Skitourismus um modellieren wollen. Sind Ihnen ähnliche Fälle bei der Romanrecherche untergekommen? Gab es vergleichbare Fälle, auch des Widerstands, in der Realität?
Ja, Earth First ist eine radikale Umweltschutzorganisation, die massiv handelt gegen Umweltzerstörer, durchaus auch mit Gewalt. Wir sehen es ja, was hier in Aachen etwa der Baumschutzbund bemängelt. Es wird viel geredet, aber etwa um Bäume zu fällen, gibt es immer Argumente. Und nur wenige regen sich darüber auf. Die Sägen sägen! Ich finde, es ist ein Verbrechen an uns allen. Als Vorbild für die Sprengung des Weißkogels im Roman fand ich in den Alpen u.a. den „Linken Fernerkogel“, der für ein Mega-Skiprojekt per Sprengung pistentauglich gemacht werden soll. Dagegen regt sich heftiger Widerstand, aber wir dürfen raten, wer gewinnt, die braven Umweltschützer oder die örtliche Skibranche.
Ihre drei letzten Romane spielen zumeist in ländlicher Umgebung, schildern eine Jugend oder geben Rückblicke in diese und sind im weitesten Sinne stark von oft unglücklichen Familienkonstellationen geprägt …
Familien sind ein wunderbares Setting, wenn man Romane schreibt, die die Psychologie der Figuren zeigen wollen. Es gibt oft in der Tiefe der Figuren Verwundungen, die ein Leben lang wirken. Oft entstehen sie eben im Kontext der Familie, die eigentlich ein Schutzraum sein sollte, es aber oft nicht ist, sondern ein erster „Battleground“.
Mit der Aachener Autorin Sylvie Schenk „teilen“ Sie sich den Saxophonisten Heribert Leuchter bei ihren Lesungen. Was ist das Besondere an der Zusammenführung von gelesener Literatur und live gespielter Musik? Ich habe ja schon vor fast dreißig Jahren damit begonnen, sogenannte Textkonzerte zu machen, oft mit Ludger Singer und auch mit Heribert Leuchter. Die Musik vertieft die Atmosphäre des Textes, interpretiert, karikiert sie sogar manchmal. Da sind beide Musiker große Könner. Sie illustrieren tatsächlich den Text nicht, sondern geben ihm noch-
mal eine ganz eigene Interpretation und, wenn esgelingt, auch Tiefe. \
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