Ein Romandebüt, welches noch von sich reden machen wird: Der Roman der Niederländerin Gerda Blees „Wir sind das Licht“ ist eine fiktive Geschichte, auch wenn sie sich von einer wahren Begebenheit inspirieren ließ. „Ich las in einer Zeitung eine Geschichte über eine Wohngemeinschaft wie diese, in der eine Frau verhungert ist.“ Es geht um eine sektenähnliche Kommune in einer gewöhnlichen niederländischen Stadt. Mitten in der Nacht stirbt, ausgezehrt und abgemagert, Elisabeth, die ältere Schwester von Melodie. Diese hatte sich mit zwei weiteren Personen, Muriel und Petrus, sowie ihrer Schwester dem neuntägigen Experiment eines geldgierigen Internet-Gurus mit Atem- und Licht-Meditationen unterworfen – mit dem Ziel, die Nahrungsaufnahme zugunsten reinerer Lebensqualität einzustellen. Denn wir sind das Licht!
Wie auch die anderen drei ist Melodie als treibende Kraft eine gescheiterte Existenz: vom Vater stets protegiert, von Ehrgeiz zerfressen, aber an ihrem Musikstudium gescheitert, fordert sie die anderen nach einem Therapie-Wochenende auf, mit ihr eine gemeinsame Wohngruppe mit Musik und Meditation zu gründen.
Die stilistische Besonderheit, die diesen Roman literarisch letztendlich so besonders macht, sind die originell wechselnden Perspektiven auf das Geschehen: Jedes Kapitel wird aus der Sicht von beispielsweise dem Haus, den Zweifeln etc. erzählt. Die Nacht ist das Einstiegskapitel und schildert den Tod der Elisabeth und das regungslose Verharren der anderen drei, im gleichen Raum auf Schlafmatratzen liegenden, verlorenen Seelen: „Wir sind die Nacht. Wir bringen Düsternis und Trunkenheit, Katzenkämpfe, Schlaf und Schlaflosigkeit, Sex und Sterbefälle.“
Wir sind das Licht, Wir sind der Tatort („Vor nicht allzu langer Zeit waren wir ein gewöhnliches Haus …“), Wir sind das tägliche Wort, Wir sind die Fakten, Wir sind der Zweifel, Wir sind das Cello, Wir sind zwei Zigaretten, Wir sind der Rechtsbeistand – alle Kapitel fügen puzzleartig kleine Teile zum Mosaik der Tragödie bei. Drei polizeilich Ermittelnde sowie ein Arzt, der Vater, ein Bruder bilden die wenigen menschlichen Stimmen zum Geschehen. Melodie stellt sich als die manipulative Anführerin der Gruppe heraus. Alle kommen wegen des Verdachts der unterlassenen Hilfeleistung in Untersuchungshaft. Ihre Trennung in Einzelzellen gibt der Dynamik der Gruppe, der Diskrepanz, die zwischen dem Selbstbildnis der Wohngruppe und der Außenwelt besteht, nochmals einen gehörigen Schub auf ein offenes Ende hin. \ rm
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