Deutsche Popmusik und ihre Sprache – ein schwieriges Verhältnis! Der Journalist Jens Balzer widmet sich in seinem zweihundertseitigen Sachbuch diesem Thema quasi von Stunde Null an. Die damalige deutsche Pop-Produktion – oder besser der Schlager – war nach 1945 zunächst vom Fernweh geprägt: „La Paloma“, „Capri-Fischer“, „Kalkutta liegt am Ganges“. Nicht nur die deutschen Texte waren mit englischen, spanischen oder italienischen Vokabeln durchsetzt, auch die Interpreten waren oft international und wurden quasi eingedeutscht: Vico Torriani, Bill Ramsey, Freddy Quinn, Caterina Valente, Billy Mo und viele mehr.
Es folgte der deutsch adaptierte Rock ’n’ Roll und schließlich die Beatmusik (Peter Kraus, The Lords, The Rattles). Der Herzensschmu verlor erst in der zweiten Hälfte der 60er Jahre an Bedeutung. Die Zeit der Liedermacher (Degenhardt, Mey, Wader) und deutschen Krautrockbands (Can, Amon Düül, Guru Guru) führte zur Politisierung der Songtexte beziehungsweise. im Krautrock zur Abkehr von der deutschen Sprache und der drei-minütigen Länge einer durchschnittlichen Popsingle.
Balzer leuchtet in jede noch so kleine Nische: Politische Rockmusik (Floh de Cologne) oder die Hinwendung zu altdeutscher Lyrik der Bands, deren Name bereits Programm war (Hölderlin, Novalis und Ougenweide), der Mundart-Rock (BAP, Falco, Spider Murphy Gang) bis zu den „Gastarbeiter-Liedern“ der in der damaligen Bundesrepublik unter dem Radar äußerst lebendigen türkischsprachigen Community – alles findet Erwähnung und Platz.
Deutsche Popmusik zwischen Weltschmerz, Rock-Revolution, Punkrock, der Neuen Deutschen Welle bis hin zum deutschen Rap in all seinen Schattierungen ist überaus vielfältig: Hier findet man strukturelle Rassismuskritik ebenso wie Sexismus, Misogynie und Verschwörungstheorien. Abseits von Soziologie und Sprachwissenschaft gelingt es Jens Balzer, diese Facetten aufzufächern und damit auch die Geschichte der Bundesrepublik als Pop-Geschichte zu erzählen. \⇥rm
WEITEREMPFEHLEN