Von Richard Mariaux
Der neue Roman von Robert Menasse trägt den Titel „Die Erweiterung“ und kann durchaus als Fortsetzung seines Brüsseler EU-Romans „Die Hauptstadt“ gelesen werden. 2017 erhielt Menasse den „Deutschen Buchpreis“, 2018 folgte als eine von vielen Auszeichnungen der Aachener „Hasenclever-Preis“ für sein Gesamtwerk. Am 29. Oktober liest Robert Menasse aus seinem neuen Roman im Ludwig Forum. Robert Menasses 2017 erschienenes satirisches Werk „Die Hauptstadt“ bietet detaillierte Einblicke hinter die Kulissen der supranationalen Verwaltung der Europäischen Union in Brüssel. Menasse behandelt in mehreren Erzählsträngen die unterschiedlichen Fallstricke, in die Beamte und EU-Kommission geraten. Da geht es – im Clinch mit Vertretern nationaler Interessen – ganz banal um Ausfuhrgenehmigungen für den Schweinehandel nach China. Oder ein Abteilungsleiter in der Generaldirektion Kultur macht sich nach einer offiziellen Reise nach Auschwitz Gedanken über eine anstehende Geburtstagsfeier der Europäischen Union. Scheitern wird der Beamte an der Idee, diese Feier gleichzeitig als Gedenktag für Auschwitz zu begehen. Für ihn ist die Konkretisierung der Europa-Idee ohne die Überlebenden der Konzentrationslager nicht denkbar – doch von dieser Idee will in Brüssel niemand etwas wissen. Auschwitz wird zu einem rein deutschen (Schuld-)Thema erklärt. In einem 2019 geführten Interview mit dem „Tagesspiegel“ befand Menasse: „Die EU ist ein sehr konkretes politisches Projekt, während die Nation ein abstraktes Konstrukt ist. Worin besteht die gemeinsame nationale Identität? Ich wüsste nicht, was meine nationalen Interessen sein sollen, die ich mit einem Tiroler Bergbauern teile, aber schon mit einem Südtiroler nicht, weil der Italiener ist. Alle Menschen haben doch dieselben Interessen, die teile ich auch mit Menschen im Alentejo oder am Peloponnes …“ Auf die Frage, ob er sich eine Fortsetzung von „Die Hauptstadt“ vorstellen könnte, antwortete Menasse: „Manchmal denke ich ganz groß, will zwanzig Fortsetzungen schreiben, ein umfassendes Panorama Europas unserer Zeit, eine tragi-comédie européenne. Dann will ich wieder etwas ganz anderes schreiben – oder gar nichts mehr. Ich frage mich, was überhaupt noch einen Sinn hat. Ich habe das Gefühl, dass die EU scheitern und zerbrechen wird, die Nationalisten werden Europa noch einmal in die Luft sprengen. Als Romancier könnte mich das eiskalt interessieren, das sind ja in der Literaturgeschichte die besten Romane, die von einem Epochenende erzählen, aber ich will diese Entwicklung nicht, und ich will nicht, dass mein Pessimismus sich wie ein Schleier über mein Schreiben legt.“ 2022. Er hat es also wieder getan. Den großen europäischen Roman geschrieben, der dem Staatengebilde Europa mit seinem bürokratischen Heer in Brüssel die knallharten nationalen Interessen der einzelnen Länder gegenüberstellt. Denn nur national entscheidet sich eine (Nicht-)Erweiterung der EU nach Osten. Alles andere ist Fassade und eine in Brüssel bestens trainierte Kompromissfähigkeit, bei der niemand sein Gesicht verlieren darf. Zwei Brüder, nicht leibliche, sondern „Blutsbrüder“, verbunden durch einen Schwur, den sie im polnischen Untergrundkampf gegen das kommunistische Regime geleistet haben, gehen nach dessen Zusammenbruch getrennte Wege. Der eine, Mateusz, steigt in höchste Ämter auf und wird schließlich polnischer Ministerpräsident. Der andere, Adam, macht nach dem EU-Beitritt Polens in der Europäischen Kommission Karriere, in Brüssel ist er zuständig für die Erweiterungs-Politik. Während die Vorbereitungen für die Westbalkankonferenz im polnischen Poznan auf Hochtouren laufen, bittet Adam Mateusz um Unterstützung, doch der beginnt das Beitrittsgesuch Albaniens zu unterminieren. Aus der einstmals tiefen Verbundenheit wird eine unversöhnliche Feindschaft von europäischer Dimension. Auf einer vom albanischen Ministerpräsidenten organisierten Kreuzschifffahrt auf der SS Skanderbeg, zu der er alle Regierungschefs der Balkanstaaten, die EU-Außenminister und sämtliche Vertreter der Europäischen Union eingeladen hat, treffen die Beiden wieder aufeinander. Was dann passiert, steht längst nicht mehr in ihrer Macht. Der politische Konflikt der beiden Blutsbrüder ist aber nur der Rahmen, innerhalb dessen sich eine Vielzahl von Schicksalen entscheidet, kühne Pläne und große Lebensanstrengungen auf die Probe gestellt werden, bis es zum Showdown kommt, auf dem schwankenden Boden eines albanischen Kreuzfahrtschiffs.
Die Lesung Robert Menasse liest am 29. Oktober um 18 Uhr im Aachener Ludwig Forum. Karten gibt es in allen Filialen der Backhaus-Buchhandlungen. Zur Website der Backhaus-Buchhandlung geht es hier. Der Roman Der Roman „Die Erweiterung“ erscheint am 10. Oktober. Suhrkamp Verlag, 653 Seiten, 28 Euro
Der Roman unterliegt einer Sperrfrist bis zum 8. Oktober. Daher ist eine Rezension in der aktuellen Ausgabe des Klenkes leider nicht möglich.
WEITEREMPFEHLEN