Ist „The Story of John Nightly“ der erste Roman über das (fiktive) Leben eines britischen Popstars? Nicht, dass sich Pop und Literatur nicht öfters zusammen denken würden – „High Fidelity“ von Nick Hornby war so ein Fall und Autoren wie Michael Chabon, David Foster Wallace, Colson Whitehead oder Benjamin von Stuckrad-Barre bei uns, zeigten sich in ihren Werken oft als popaffine Literaten. Aber der erste Roman von Tot Taylor ist in diesem Kontext schon außergewöhnlich – und das machen nicht nur die knapp tausend Seiten aus, die akribisch die (britische) Popmusik-Szene der Swinging Sixties ausleuchten.

Taylor ist ein perfekter Kenner. Er spielte in Bands, gründete das überaus coole Label „The Compact Organization“, welches Acts wie Mari Wilson oder Virna Lindt veröffentlichte, brachte Soloalben heraus, komponierte für den „Absolute Beginners“-Soundtrack von Julian Temple, beriet die BBC in musikalischen Dingen und betrieb eine Kunstgalerie in Soho, in der er Werke von Yoko Ono und William S. Burroughs ausstellte. Taylors Popheld John Nightly ist ein ruhiger, in sich gekehrter, umso kreativerer junger Mann aus dem kleinen Ort Cambridge. Weniger dem Universitätsbetrieb dort verpflichtet, entdeckt er früh seine Liebe zur Astronomie und zur Musik. Alles fällt ihm in den Schoß, seine musikalischen Vorbilder heißen eher Strawinsky, Britten oder  Gustav Holst („The Planets“). Gefördert von seinen Eltern landet er als großes Talent im psychedelischen London, wo der Zeitgeist zwischen Britpop und der Mode heftigst tobt, wird ein Star, heiratet ein schwedisches Top-Model und gerät in einen Drogensumpf. Cut.
Taylor verwebt diese Ereignisse mit Figuren des realen Lebens (The Who, Hendrix, Pink Floyd …), der gesamte Roman wechselt permanent die Zeitzonen und Genres – Plattenkritiken, Radiointerviews, Zeitungsmeldungen, Zeitzeugen, die zu Wort kommen – nicht nur über die Mechanismen der Popmusik, sondern auch über Pflanzenzucht, die Küste von Cornwall oder die Energiegewinnung durch Meereswellen erfährt man detailreiche Hintergründe. Nach einem Zusammenbruch auf der Bühne und einem langen Aufenthalt in einer kalifornischen Klinik kehrt Nightly als Einsiedler und erfolgreicher Pflanzenzüchter in die rauhe und einsame Welt an Cornwalls Küste zurück. Abgeschottet von einem Freund aus den Anfängen seiner Karriere und für eine Rückkehr in die Musikwelt absolut ­unempfänglich.
Diese ganze Geschichte ist so dicht gewebt und stupend mit allen Fallhöhen und Eigenheiten des Business virtuos inszeniert, dass man es schwer glauben mag, dass dieser John Nightly nicht wirklich gelebt hat.
Pop-Afficianodos vornehmlich der Sechziger können sich mit Taylors Buch jedenfalls auf schöne lange Winterabende freuen.  \     rm
 
Tot Taylor:
„The Story Of John Nightly“
Verlag Heyne Encore
960 Seiten,
28 Euro