Von Richard Mariaux
Irgendwas ist faul im Staate Pop. In den deutschen Mainstream sind reaktionäre Sprachbilder eingesickert, die Homophobie, Frauenhass, Misogynie, Rassismus und Antisemitismus Vorschub leisten. Der Berliner Autor Jens Balzer untersucht die (gar nicht mehr so neuen) Strömungen der Popmusik, benennt die Macher, Hintergründe, zeigt auf, wie andererseits rasant sich eine popmusikalische Entwicklung in Zeiten von #metoo für eine offene Gesellschaft Bahn bricht.
In zehn Kapiteln beschreibt Balzer eine (deutschsprachige) Popmusik, die andere Provokationen gegenüber der Gesellschaft zulässt, als es in der Vergangenheit der Fall war. Stichwort: 68er, die Gegenkultur, Protestmusik, Dylan, Zappa, Ton Steine Scherben, ja selbst die Beatles hinterfragten gängige, vom Konservatismus geprägte Normen und sickerten über eine politisierte Jugend in den gesellschaftlichen Mainstream ein.
Heute sieht das anders aus. Provokation ist eine der ältesten Gesten der Popmusik. Balzer: „Während die … Grenzüberschreitungen von Glamrock, Disco und frühem HipHop stets auf die Überwindung von Diskriminierungen gerichtet waren, mit der Botschaft, dass jeder Mensch so leben darf und soll, wie es ihm gefällt – so sucht man diese Perspektive bei Künstlern wie Kollegah, Farid Bang und Bushido vergebens. Sie verhalten sich durchweg wie zynische Individualisten, deren Lust an der Provokation und der Grenzüberschreitung ausschließlich aus destruktiven Impulsen erwächst. Es fehlt ihnen – anders als bei den Gegenkulturen der siebziger Jahre – jede Perspektive auf ein Kollektiv oder eine Gemeinschaft von Menschen, die durch die Kraft der ästhetischen Provokationen eventuell aus ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung befreit werden können …“
Geht es im deutschen, auch migrations- und muslimnahen HipHop um Frauenhass, Judenfeindlichkeit, Homophobie u.ä. muss man konstatieren, dass die vermeintliche Authentizität (die harten Jungs von der Straße) mehr als nur „eine Überbietung der eigenen Krassheit und Tabubrüche“ darstellt. Eine Strategie, die man mit den Rechtspopulisten in der Politik gemein hat – die ständige Verschiebung des Diskurses nach rechts mit der Ansage, man spiele ja nur eine Rolle, und es sei ja alles gar nicht so gemeint.
Aber es geht hier nicht nur um den sogenannten „Gangster-Rap“ und über den „Echo“-Skandal, ausgelöst von den Rappern Kollegah/Farid Bang. Neben dem Siegeszug des expliziten Deutsch-Rap hatte sich spätestens mit dem Erfolg der Bösen Onkelz eine neue Echokammer gebildet, die viele Jahre vor der AFD und Pegida als Sammelbecken für Menschen wurde, deren politisches Weltbild eben nicht weltoffen und eher von larmoyanter Verlierer-Mentalität geprägt war. Im sechsten Kapitel „Dahoam, da komm i her“ beschreibt Balzer die politische Ambivalenz der Heimatrocker und pickt sich hier auch gleich die erfolgreichsten Vertreter heraus: Andreas Gabalier und Frei.Wild: „Auch an anderen Stellen in seinem (Gabalier) Werk finden sich Bilder, die man als Anspielung auf nationalsozialistisch geprägte Symboliken verstehen kann – oder eben auch nicht. So heißt es in seinem Lied „Mein Bergkamerad“ (hier in hochdeutscher Übersetzung); „Kameraden halten zusammen ein Leben lang / eine Freundschaft, die ein Männerleben prägt / wie ein eisernes Kreuz, das am höchsten Gipfel steht / und selbst den allerstärksten Sturmwind widersteht“. Gipfelkreuze sind in der Regel aus Holz oder Metall gefertigt, warum muss dieses hier gerade aus Eisen sein?“, fragt Balzer zu Recht.
Aber es weht auch ein frischer Wind von einer ganz anderen Seite. Auslöser sind pop-musikalisch hier wiederum die USA, die Trump bisher weder einen vereinnahmenden Popstar beschert haben, noch der erfolglose Versuch der Alt-Right-Bewegung, weiße Popkünstler wie Taylor Swift oder Depeche Mode zu klammheimlichen Unterstützern zu proklamieren. Der Aufklärung zum Missbrauch von Macht hat sich der von der #metoo-Debatte torpedierten Filmindustrie nun auch das Musikbusiness vorgenommen: Michael Jackson, R. Kelly aber auch eine Täterschaft, die aufgrund der Libertinage der 60er/70er Jahre unter dem Radar der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit stattfand – David Bowie, Iggy Pop, Jimmy Page, Anthony Kiedis, Sid Vicious oder Miles Davis – allen gemein ist entweder der sexuelle Verkehr mit Minderjährigen oder die Gewalt gegen Frauen. Balzer konstatiert: „… es war eben auch eine Zeit des entfesselten Patriachats; und ein Künstler wie David Bowie war auch … ein im Detail widerlicher Sexist.“ \
Jens Balzer:
Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik.
Edition Körber,
208 Seiten,
17 Euro
Zur Person
Jens Balzer lebt in Berlin und arbeitet als Autor und Kolumnist unter anderem für Die Zeit, Deutschlandfunk, Rolling Stone und den rbb-Sender Radio Eins. Gemeinsam mit Tobi Müller moderiert er den monatlichen Popsalon am Deutschen Theater. Zuletzt erschienen: „Pop. Ein Panorama der Gegenwart“ (2016). \
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