Manchmal trifft das Sprichwort „Neue Besen kehren gut!“ die Situation auf den Punkt: Seit Sina Braun im November 2023 die Leitung des Aachener Tierheims übernahm, wird am Feldchen 26 nicht nur bei der täglichen Reinigungsroutine ordentlich durchgefegt. „Zuerst habe ich mit meinen Mitarbeitern die vielen Verbotsschilder hier im Tierheim entfernt“, sagt Sina Braun und lacht. Sie sieht das Tierheim als Begegnungsstätte zwischen Tier und Mensch, die einen freundlichen Empfang bieten und nicht gleich mit Verboten und Einschränkungen abschrecken soll. Die gelernte Tierpflegerin und Tierphysiotherapeutin aus Darmstadt arbeitete rund 20 Jahre im Tierheim Heinsberg, später auf einem Gnadenhof, bevor sie im letzten Jahr nach Aachen kam.
„Als Tierheimleiterin sehe ich es als meine Hauptaufgabe, bei Problemen zu vermitteln“, sagt sie und bestärkt die Ernsthaftigkeit ihrer Aussage, indem sie auf ihre Ansprechbarkeit per E-Mail oder Telefon verweist. Dieser direkte persönliche Kontakt gehört klar zu ihrem Konzept, dem Tierheim Aachen ein positiveres Image und höhere Sichtbarkeit zu geben. So wird das Tierheim vom 2. bis 10. März auch bei der Euregio Wirtschaftsschau vertreten sein. Bei aktuell rund 35 Hunden und mehr als 100 Katzen sowie zahlreichen weiteren Tieren wie Kaninchen, Mäusen und verschiedenen Vögeln sind die räumlichen Kapazitäten erreicht. „Wir bekommen jetzt die Tiere rein, die in der Coronazeit angeschafft wurden, was besonders bei den jungen Hunden problematisch ist. Denn da wurde eine Generation ohne Frustrationstoleranz herangezogen. Nette Tiere werden immer schnell vermittelt, aber bei verhaltensauffälligen Tieren ist es kompliziert.
Natürlich wäre Prävention wünschenswert, die Leute kommen aber erst, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist“, fasst Sina Braun die aktuelle Situation zusammen. Viele Tiere seien nur schwer vermittelbar. Rund dreiviertel der Hunde müssen bei den Spaziergängen außerhalb des Tierheims einen Maulkorb tragen, zwei gelten sogar als völlig unvermittelbar. „Im Tierheim ist Struktur ganz wichtig“, sagt die Leiterin und führt aus: „Es gibt unglaublich engagierte Patinnen und Paten, die regelmäßig mit den Hunden spazieren gehen und sich um die Katzen kümmern, sie streicheln und bürsten, mit ihnen spielen oder ihnen vorlesen, damit sie Stimmen kennenlernen“.
Ehrenamtliche Unterstützung
Eros, der sechs Jahre alte Staffordshire Bullterrier Mix, ist ein sogenannter Listenhund, für den es eines großen Sachkundenachweises und einer Haltergenehmigung durch das zuständige Ordnungsamt bedarf. Als Fundhund sitzt er seit viereinhalb Jahren im Tierheim, Informationen über seine Vergangenheit gibt es nicht, außer, dass er samt Maulkorb aufgefunden wurde und ihn scheinbar niemand vermisst oder gar kennt. Auch wenn die Pfleger sagen, dass man für Eros eine Bedienungsanleitung brauche, ist der stämmige Rüde für die 25-jährige Jurastudentin Maite Haas ein toller Hund. „Eros ist einerseits aufgeschlossen und manchmal ein witziger Clown, in anderen Situationen dann aber unsicher und schnell überfordert. Inzwischen ist er fast blind und dadurch teilweise aggressiv“, sagt die Tierpatin, die seit viereinhalb Jahren jeden Tag mit Eros spazieren geht. Inzwischen ist auch ihr Vater Stefan Haas am Zwinger eingetroffen, er hat noch ein riesiges Hundebett und einige Leckerli aus dem Wagen geholt, bevor seine Tochter Eros für den Spaziergang bereit macht und ihm das Geschirr und den Maulkorb anzieht. Maite Haas engagiert sich schon seit sieben Jahren als Patin im Tierheim, da sie in ihrer Wohnung keinen eigenen Hund halten kann.
Erst kam sie zwei bis drei Mal pro Woche, nun sind es mehrere Stunden täglich, in denen sie sich um Eros kümmert. „So unsicher und forsch er gegenüber größeren Hunden ist, so lieb ist er zu Menschen und kleineren Hunden. Einmal hat er sogar eine verletzte Maus in seinem Zwinger gefunden und umsorgt, bis die Pfleger sie fanden“, erklärt die Studentin, bevor sie sich mit ihrem Vater und Eros auf den Weg macht. Durch einen speziellen Pflegevertrag dürfen sie den Hund auch zu Ausflügen ins Wurmtal oder zum Lousberg mitnehmen.
Neben der Adoption und der Patenschaft für ein Tier aus dem Tierheim kann man sich auch als Pflegestelle engagieren: Vor allem im Frühjahr und im Herbst wird das Tierheim von Katzenbabys überschwemmt. Einerseits werden die Kitten dort medizinisch versorgt, gefüttert, betreut und anschließend meist sehr rasch vermittelt, aber bis dahin sprengen sie zeitweise die zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten des Tierheims, denn es werden laut Sina Braun von Jahr zu Jahr mehr. „Manchmal weiß man gar nicht, wo man anfangen soll: Es gibt zahlreiche illegale – in den Niederlanden sogar legale – Hundefarmen, die vor allem bei Modehündchen wie Französische Bulldoggen oder Chihuahuas, unter entsetzlichen Bedingungen für immer weiteren Nachwuchs, man muss schon fast sagen ‚Nachschub‘, sorgen.
Kastrationspflicht statt Populationsanstieg
Bei den Katzen sorgen die unkastrierten Freigänger oder verwilderten Tiere für einen stetigen Populationsanstieg, deshalb ist dort eine Kastrationspflicht auf jeden Fall wünschenswert. Und damit haben wir erst über zwei Tierarten gesprochen“, antwortet Sina Braun auf die Frage, was die größten Herausforderungen für das Tierheim seien. Deshalb kooperiert das Tierheim Aachen auch mit anderen Tierschutzorganisationen: Seit 1995 kümmert sich beispielsweise die „Arbeitsgruppe Stadttauben“ um eine tierschutzgerechte Bestandskontrolle und betreut heute sieben Taubenschläge ehrenamtlich, weitere drei sind in Planung.
Das Tierheim arbeitet auch eng mit den zuständigen Behörden zusammen, es gibt einen eigenen „Behördencontainer“, in dem vom Ordnungsamt gefundene oder sichergestellte Tiere untergebracht werden, wenn das Tierheim geschlossen ist. Im Tierheim gibt es immer etwas zu tun: So ist man an ganz unterschiedlichen Stellen auf Unterstützung angewiesen – auf ehrenamtliches Engagement ebenso wie auf Geld- und Sachspenden. Neben Futternäpfen, Spielzeug und Leinen stehen auch immer Wasch- und Spülmittel auf dem Bedarfszettel. Außerdem werden Textilien benötigt, beispielsweise Decken, Bettwäsche und Handtücher aus Haushaltsauflösungen, wobei Daunenkissen nicht geeignet sind, da alles waschbar sein muss.
„Grundsätzlich freuen wir uns über jedwede Unterstützung, einfach melden und sagen, was man kann und einbringen möchte, egal, ob Hobbyfotograf oder Handwerker“, so Sina Braun, schließlich schaffe die Arbeit im und für das Tierheim auch ein soziales Gefüge, die meisten Paten engagieren sich seit Jahren, kennen sich und tauschen sich aus. Darüber hinaus ist das Tierheim als Unternehmen auch Arbeitgeber: Aktuell ist eine Stelle als Tiermedizinische Fachangestellte ausgeschrieben, außerdem werden Ausbildungsplätze und Plätze für den Bundesfreiwilligendienst (BFD) angeboten.
Zu den zahlreichen Projekten, die vom Tierheim unterstützt werden, gehört auch die Tiertafel „Tischlein deck dich“, die in Aachen jeden Dienstag und alle 14 Tage freitags in Würselen, Stolberg und Eschweiler Futter für Katzen und Hunde an Bedürftige ausgibt. Im Tierheim finden auch immer Veranstaltungen wie der Ostermarkt oder das große Sommerfest statt, für das die Kreativgruppe allerlei bastelt, beispielsweise Katzenangeln, Hundespielzeuge oder Deko-Accessoires für Wohnung oder Garten. „Nach meinem Arbeitsbeginn im November letzten Jahres habe ich fast alle kleineren Weihnachtsgeschenke hier gekauft, weil das alles so goldig war“, sagt Sina Braun und verweist auf die Vitrine im Wartebereich, in der die handgemachten Schlüsselanhänger, Taschen und anderen Accessoires gezeigt werden.
Eine Sache liegt Sina Braun besonders am Herzen: Das „Graue-Schnauzen-Projekt“ hilft Tier-Senioren ihren Lebensabend in einem liebevollen Zuhause zu verbringen – sie werden seit Kurzem ohne die sonst übliche Schutzgebühr oder per Dauer-Pflegevertrag vermittelt, bei dem der Tierschutzverein Eigentümer des Tieres bleibt und alle notwendigen Tierarztkosten oder Spezialfutter trägt. Auch wenn die Schutzgebühr normalerweise eh nur etwa ein Siebtel der Kosten deckt, die für die Pflege und medizinische Versorgung (Impfungen, Kastration, Entwurmung und Entflohung sowie Tätowierung oder Chipeinsatz) eines Tieres im Tierheim anfallen, ist das für die Tierheimleiterin ein wichtiges Signal, um Menschen auf ältere Tiere aufmerksam zu machen.
Bei der Aufforderung „Wünsch Dir was!“ muss Sina Braun nicht lange überlegen: Sie wünscht sich, wie in den Vorzeige-Tierheimen in Koblenz und Darmstadt, große Freilauf-Gehege für die Tiere. Das wird am aktuellen Standort, diesem abgelegenen, unwirklichen Fleckchen im Industriegebiet im Nordosten von Aachen, nicht möglich sein, aber wer weiß, vielleicht macht eine großzügige Erbschaft eines Tages doch einen Neubau möglich, denn auch per Testament kann man das Tierheim unterstützen. \
Tierheim & Tierschutzverein für die Städteregion Aachen e.V.
Feldchen 26, 52070 Aachen
https://www.tierschutzverein-aachen.de
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