Die Geschichte der Popmusik wurde in der Regel mit Fokus auf die Künstler und ihre Musik erzählt. Umso erstaunlicher und daher unbedingt lesenswert ist die Herangehensweise von Theater- und Popkritiker Tobi Müller (unter anderem Berliner Zeitung) in seinem aktuellen Buch: Seine Musikhistorie ist entlang der Entwicklungen von Technologien erzählt.
Die Entstehungsgeschichte klassischer Abspielgeräte für den privaten Gebrauch ist untrennbar verbunden mit ihrer militärisch-industriellen Herkunft: Radiosender dienten zunächst zur emotionalen Mobilisierung im Schützengraben. Über Kopfhörer bekamen deutsche Jagdbomber im 2. Weltkrieg zielsicher ihre Abwurfkoordinaten mitgeteilt. Auch die ersten Popsender in Europa, wie Radio Luxemburg, wurden anfänglich von Besatzungstruppen installiert und betrieben.
Die gradlinige Geschichte der Musikträger beginnt in „Play Pause Repeat“ mit Edisons Phonograph. Es folgen Schallplattenspieler, (Mix-)Tapes, Verstärker, Rekorder, Kopfhörer, Kopierer, Walkman, Synthesizer. In weiteren Kapiteln schildert der Journalist eine völlig neue dynamische Entwicklung der Pop-Rezeption: MTV, Live Aid, CD/Techno/mp3/iPod, Google, iPhone /Berlin: Software, Clubkultur bis hin zum Streaming.
Tobi Müller beschreibt – teils skeptisch – die technischen Fortschritte und ihren Einfluss auf die Popkultur: „Der Walkman ist das Smartphone der achtziger Jahre: teuer, allgegenwärtig und Gegenstand vieler Debatten.“ Zu dessen Entwicklungsgeschichte verrät er ein wenig bekanntes Detail: „Bereits 1977 meldete der deutsch-brasilianische Philosoph und Erfinder Andreas Pavel ein Patent für eine „körpergebundene Kleinanlage für hochwertige Wiedergabe von Hörereignissen an“. … Dieses genannte „Stereobelt“… wurde allerdings nie produziert.“
Mit dem Zeitalter von MTV und dem iPod nimmt die Beschleunigung einer oberflächlicher werdenden Musikrezeption Fahrt auf. „MTV war ein Testfeld,das vieles von dem bereits durchspielte, was später im Internet viel höher skalieren konnte.“
Die Geschichte der Popmusik ist beileibe nicht auserzählt, aber mit Beginn des Streaming-Zeitalters wirft Müller einen kritischen Blick auf die monopolistischen digitalen Plattformökonomien. „Streaming wird die Kultur der Stimmungsplaylist perfektionieren und Musik auf die Funktion der Stimmungsregulierung reduzieren. Der iPod zeigt die ersten Umrisse dieser Entwicklung… Pop war vorne mit dabei, wenn es galt mit seinen Geräten den Wandel mitzugestalten. Streaming hat aber keine Antwort auf die Fragen der Zeit und löst keine Probleme. Streaming kann mit dem steten Strom an Musik die Lage und die Musikhörerinnen und -hörer allenfalls etwas beruhigen.“ \ rm
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