Von Svenja Stühmeier
Foodsharing, Containern, die Tafel: Menschen setzen sich auf ganz unterschiedliche Weise gegen Lebensmittelverschwendung und für den Zugang zu Nahrungsmitteln für alle ein. Sie geben Essen an Menschen mit wenig finanziellen Mitteln aus, bringen Lebensmittel, die sie selbst nicht mehr brauchen, zu öffentlichen Verteilstationen oder schnappen sich noch genießbare Lebensmittel aus den riesigen Mülltonnen hinter Supermärkten. Aber: Wie geht das in Pandemiezeiten?
Anscheinend ziemlich gut: Taalke Wolf und Flo Etzbach sehen den kleinen Ansturm, den die Gruppe „Foodsharing Aachen“ zu Beginn der Pandemie erfahren hat, als Zeichen dafür, dass viele Menschen nun die freien Zeiträume nutzen, um sich gegen die Verschwendung von Lebensmitteln einzusetzen. 1.200 Aachener Mitglieder zählt die Homepage, davon seien grob 150 regelmäßig aktiv. Das Prinzip der Initiative: An bestimmten Orten – „Fairteilern“ – werden Lebensmittel gelagert, die sich Menschen abholen und nutzen können. Befüllt werden sie sowohl von Privatpersonen als auch von „Foodsavern“. Das sind Personen wie Taalke und Flo, beide um die 30, die Lebensmittel an Läden abholen, mit denen Foodsharing Kooperativen eingegangen ist. Mit umfunktionierten Kinderanhängern hinter ihren Rennrädern transportieren sie regelmäßig Lebensmittelladungen. „Wir versuchen allerdings, uns dezentral zu organisieren“, sagt Flo. Das bedeutet: Aktuell achten sie darauf, keine Menschenmengen anzuziehen. So informieren Foodsaver etwa nicht auf allen Social-Media-Kanälen gleichzeitig über eine neue Ladung im Fairteiler. „Es gibt auch immer mehr Privatpersonen, die zum Beispiel eine Kiste vor die Tür stellen und das dann in Whatsapp- oder Telegram-Gruppen posten. Das funktioniert gut und ist noch lokaler.“
Christian Walter hat der Lebensmittelverschwendung ebenfalls den Kampf angesagt – jedoch nicht unter dem Dach einer Initiative wie Foodsharing: „Marktrelevante Unternehmen nutzen die Zusammenarbeit als Greenwashing-Möglichkeit“, sagt er. „Solche Initiativen tun eben nicht alles, um die Lebensmittelproduktion zu begrenzen, sondern akzeptieren die Überproduktion.“ Chris geht containern. Und hat in der Regel keine Schwierigkeiten, die geretteten Lebensmittel loszuwerden: Der 32-Jährige teilt sie mit seiner WG, kocht für größere Veranstaltungen und hat in Corona-Zeiten ein öffentlich zugängliches Regal in seiner Nachbarschaft installiert. „Die Tafel musste ja auch eine Weile schließen.“
Ursprünglich begonnen, weil er als Student wenig Geld hatte, hat Chris inzwischen ein Buch übers Containern geschrieben, gibt Workshops und Vorträge rund ums Thema und bietet gemeinsame Touren an, wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht. „Ich gehe nach wie vor selten in den Supermarkt, besonders Frisches findet man im Überfluss. Wichtiger ist mir inzwischen aber die Öffentlichkeitsarbeit“, sagt er. „In Aachen findet man leider sehr, sehr viel. Das ist ein ökologisches Desaster.“ Die Wegwerfmengen haben sich laut Chris auch nicht verändert: „Selbst zu Zeiten der Hamsterkäufe war noch genauso viel wie sonst in den Mülltonnen.“
Eine andere Form, Lebensmittel vor der Mülltonne zu bewahren, heißt „Too Good to Go“. Die in Europa verbreitete App findet auch in Aachen guten Zulauf: Mit ihr können Restaurants, Supermärkte oder Bäckereien Übriggebliebenes für kleineres Geld weiterverkaufen – in Aachen verzeichnet sie aktuell etwa 100 Partnerbetriebe und 160.000 abgegebene Mahlzeiten. Das Angebot von Restaurants sei momentan etwas eingeschränkter, da die Produktion aufgrund der Schließungen mehr auf Anfrage stattfinde, informiert die Sprecherin der App, Johanna Paschek. „Was wir aktuell vermehrt sehen, ist, dass Großhändler nach alternativen Wegen suchen müssen, um ihre Lager zu leeren, da die Abnahmemenge seitens gastronomischer Betriebe gesunken ist. Deshalb arbeiten wir derzeit eng mit Großhändlern und Herstellern zusammen, um neue Endkunden zu erreichen“, schreibt sie.
Alle Gesprächspartner machen übrigens darauf aufmerksam, dass Lebensmittelverschwendung auch in hohem Maße zu Hause passiert. Gut 50 Prozent der Lebensmittelabfälle in Deutschland gehen aufs Konto privater Haushalte – so das Ergebnis einer Studie des Thünen-Instituts. Wer sich also wirkungsvoll dagegen einsetzen möchte, kann zunächst einmal eigene Einkaufsmengen, Lagerung und Planung checken.
Ferner ist der Umgang mit Lebensmitteln nicht nur eine ökologisch-aktivistische Frage, sondern auch eine ökonomische. Für viele Menschen bedeutet die Corona-Pandemie finanzielle Unsicherheit. Gleichzeitig hat die Situation die Nutzung der Angebote erschwert. Die Aachener Tafel etwa musste während des ersten Lockdowns schließen. Was allerdings nicht hieß, dass sie ihre Kunden nicht mehr beliefern konnte: Die Ehrenamtlichen haben einen Lieferservice auf die Beine gestellt, der auch aktuell noch unterwegs ist. „Menschen brauchen die Tafel, haben aber zum Beispiel Angst, mit dem Bus zu fahren“, sagt die erste Vorsitzende Jutta Schlockermann. Eine kontaktlose Abholung vor Ort ist mittlerweile auch wieder möglich. „Dabei geben wir vorgepackte Tüten an unsere Kunden. Das gefällt uns zwar nicht, aber momentan müssen wir alle Kompromisse eingehen.“ Einen starken Zulauf kann Jutta Schlockermann übrigens nicht verzeichnen, seit Pandemiebeginn seien nur vereinzelt Arbeitslose oder Solo-Selbstständige zum Kundenstamm hinzugekommen.
Schwester Veronika Stolze ist Leiterin der Franziska-Schervier-Stube, eine Anlaufstelle für bedürftige Menschen. Sie berichtet von einer merklichen Zunahme der Besuchszahlen: Vor Corona seien im Schnitt 120 Personen vorbeigekommen, nun seien es pro Tag zwischen 100 und 160 Personen. „Momentan geben wir belegte Brötchen aus“, sagt sie. Die können normalerweise selbst an der Theke belegt werden, doch das fällt aktuell weg. Das sei jedoch nicht, was den Besuchern am meisten fehlt: „Sie würden sich gerne hinsetzen und einen Kaffee trinken. Sie vermissen die Gespräche untereinander.“ Und das merken auch die Mitarbeiter der Tafel: Den Plausch beim Einkaufen gibt es momentan nicht. \
Am Rande
Beim Foodsharing können Menschen Lebensmittel in Fairteilern ablegen oder abholen. Wer sich beteiligen möchte, kann sich anmelden. Einen Eindruck über das Containern geben Chris’ Instagram- und Facebook-Kanäle „Aachen containert“. Die Tafel kann haltbare Lebensmittelspenden gebrauchen. Sie können montags bis freitags von 9 bis 15 Uhr an der Clermontstraße 10 in Aachen vorbeigebracht werden. \
foodsharing.de
toogoodtogo.de
aachener-tafel.de
schervier-orden.de
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