Morgens, halb zehn, in der Nähe des Aachener Hauptbahnhofs: Katerstimmung im Autonomen Zentrum (AZ). Richtig ruhig ist’s im alten Weltkriegsbunker, kalte Zigarettenstummel liegen im Aschenbecher, und das Licht ist einfach viel zu hell.
Zu hell für diesen Ort, an dem normalerweise Konzerte, Plena, Partys und Kickerturniere stattfinden. Ein angenehmer Kater, der sich doch irgendwie lohnt, weil’s halt ein super Abend war, ist das allerdings nicht mehr, denn dieses unangenehme flaue Gefühl im Magen will seit Monaten einfach nicht verschwinden – und der letzte Superabend liegt schon viel zu lange zurück.
Seit fast 30 Jahren gehört das AZ zur politischen und kulturellen Landschaft Aachens. „Und es hat weiterhin einen hohen Stellenwert in der Stadt“, sagt Joelle, die sich seit etwa fünf Jahren rund ums AZ engagiert. „Das AZ ist ein komplett selbstorganisierter subkultureller Freiraum.“ Der Anspruch: Eine Alternative sein zu anderen Räumen. Auch und insbesondere für Menschen, die Schwierigkeiten und Anfeindungen an vielen anderen öffentlichen Orten erleben.
Joelle und Liv, die ebenfalls aktiv im AZ ist, sind sich einig: Das subkulturelle Leben in Aachen ist in den letzten Jahren immer mehr zurückgegangen. „Szene-Kneipen haben geschlossen, und Kultur wird zwar städtisch gefördert, aber nur für ein bestimmtes Publikum“, ist Joelles Eindruck. „Wir wollen mit dem AZ ein Gegenpol sein.“
Dass der weiterhin bestehen bleibt, ist das oberste Ziel der Gruppe rund um den Bunker. Der gehört inzwischen übrigens rechtlich der Immobilien Projektentwicklungs- und -management AG. Diese überlässt die Nutzungsrechte der Stadt, die sie wiederum ans AZ Aachen übergibt. Unter anderem diese Sonderstellung, die laut Liv und Joelle das Ergebnis einer Historie von hartnäckigen Hausbesetzungen in Aachen ist, sei verantwortlich dafür, dass die finanzielle Lage aktuell stabil ist. „Die uns entgegengebrachte Solidarität ist auch ein Grund dafür, dass es uns gerade gut geht.“ Was allerdings allzu bald auf das AZ zukommt: Die Frage der Vertragsverlängerung. „Unser Vertrag läuft noch bis Ende 2022. Wir müssen also etwa Ende des Jahres auf die Stadt zugehen und eventuell in Verhandlungen treten“, sagt Joelle. Etwas mulmig ist ihr beim Gedanken daran schon.
Im AZ-Team sind in den vergangenen Monaten vor allem Interna über die Bühne gegangen. „Wir haben die Zeit genutzt, um uns mit Kritik von Besuchern und Selbstkritik auseinanderzusetzen“, sagt Liv. Außerdem konnte das Team einiges an Reparaturen und Umgestaltungen erledigen. Warum es bisher kein Online-Angebot gab? „Wir haben uns lange davor gedrückt, weil wir genau wissen, dass das keine richtige Alternative zu Live-Veranstaltungen ist“, sagt Joelle. Da eine Öffnung jedoch nicht in Sicht ist, arbeiten Ehrenamtliche seit einigen Monaten doch am Streamingkonzept, die erste Veranstaltung ist schließlich Ende März online gegangen. „Pauschal können wir sagen: Wir werden nicht aufmachen ohne richtiges Hygienekonzept“, machen Liv und Joelle deutlich. Das heißt: Maßstab sind nicht gesetzliche Vorgaben, sondern die höchstmögliche Sicherheit für alle Gäste.
Und dass es dabei ganz schön viel zu beachten und zu diskutieren gibt, haben die Plena der vergangenen Monate gezeigt. Denn: „Sicherheitskonzept“ heißt in diesem Fall nicht ausschließlich Infektionsschutz. Auf die erste Präsenz-Veranstaltung will das AZ-Team möglichst gut vorbereitet sein: Wie ist es für die Leute, plötzlich wieder unter vielen zu sein, zu tanzen und Blicken ausgesetzt zu sein? Und wie verhalten sich Jugendliche, die inzwischen volljährig sind, aber noch keine richtige Party-Erfahrung sammeln konnten? Das sind einige Fragen, die sich Liv, Joelle und die anderen Ehrenamtlichen zurzeit stellen. Bis wieder Getränke gekauft und Hüte herumgereicht werden können, rufen sie weiterhin auf, den Erhalt von kulturellen Orten zu unterstützen: „Das ist gerade notwendig, egal ob mit Geldspenden oder ehrenamtlichem Engagement.“ \svs
azaachen.de
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