Eltern, Großeltern, das arbeitende Umfeld: Alle scheinen sie dieses ominöse „Studentenleben“ anzupreisen, das aus Ausschlafen, monatelangen Reisen und Partys besteht— zumindest, wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht. Bestenfalls hat die Uni während des Studiums aber auch noch einen Platz in der Wochen- und Monatsplanung. Und wer schon einmal an dieser Institution unterwegs war, die:der wird auch wissen, dass sie oft ganz schön einnehmend in der Tagesgestaltung ist. Annika Gehlen ist psychologische Psychotherapeutin und Mitarbeiterin der psychologischen Beratung an der RWTH. Sie gibt Tipps, wie eine möglichst gesunde Work-Life-Balance im Studium erhalten werden kann.
Annika Gehlens Erfahrungen mit Studierenden der RWTH zeigen: Die meisten haben nicht mehr Zeit und sind aucu h cht unbedingt ?exibler als Menschen, die arbeiten. „Die Stundenpläne sind ziemlich voll und für viele Studierende ist es normal, auch am Wochenende viel zu arbeiten.“ Schließlich stünden immer Abgaben oder Prüfungen an.
Trotzdem: „Ruhepausen und Entspannung sind wichtig“, sagt Annika Gehlen. Je nach Typ können diese ganz anders aussehen: „Der Ausgleich zur Kopfarbeit ist entscheidend. Bei einem strukturierten Studium ist etwas Kreatives eine gute Abwechslung.“
Wer nach dem Lehrbuch geht, plant 60 Prozent der Arbeitszeit fürs Arbeiten und 40 Prozent für Puffer ein. In der Realität sei das allerdings lange nicht immer die beste Methode, schließlich werde das Zeitmanagernent durch individuelle Faktoren bestimmt. „Den einen macht das Powerlernen nichts aus, wenn sie anschlie?end Urlaub machen konnen. Andere brauchen jeden Tag ein wenig Entspannung“, sagt Annika Gehlen. Ihr Tipp: Langfristig planen und auf Warnsignale achten. „Wer nach der ersten Klausurenphase feststellt, dass er ausgelaugt ist, sollte das als Warnung sehen“, sagt die Psychotherapeutin. „Der Kopf muss gep?egt werden.“
In der Praxis ist das allerdings nicht so leicht. „Depressionen und Angststörungen nehmen unter Studierenden zu“, sagt Gehlen. „Die Arbeitshaltung hat sich verändert. Viele setzen sich unter Druck.“ Annika Gehlen schlägt die Filmreihe „Lernen lernen“ der RWTH vor. In kurzen Filmtutorials wird etwa der Umgang mit viel Lernmaterial oder die Planung von Pausen besprochen.
„Sich mal zu verrennen ist keine Katastrophe oder ein Semester länger zu studieren kann im Einzelfall sinnvoll und zielführend sein“, versichert Annika Gehlen. „Im Studium müssen alle erst einmal ihren Groove ?nden.“ Die Regelstudienzeit bedeute für viele Stress: „Ob das ein sinnvolles Ziel ist, ist davon abhangig, was man danach vorhat.“ Sie gibt zu bedenken, dass es in einigen Fällen nicht möglich oder schwierig ist, das Studium zu verlängern. Was hier helfen könnte: Weniger Perfektionismus an den Tag legen. „Die Studierenden, die es schaffen, gelassener an ihre Aufgaben zu gehen, erzielen oft genauso gute oder sugar bessere Leistungen als vorher.“
Das Studieren im Homeof?ce hat die Situation noch einmal komplizierter gemacht. Dabei geht es nicht um die Umstellung aufs digitale Arbeiten: „Was Studierenden zu schaffen macht, ist die Einsamkeit“, sagt Annika Gehlen. Sie schlägt vor: Wer zu Hause arbeitet, sollte sich trotzdem so verhalten, als würde er:sie ins Büro oder in die Uni gehen. Etwa ein Spaziergang am Morgen und ein separater Tisch fürs Arbeiten sind laut Annika Gehlen eine gute Idee. Die Trennung von Arbeit und Freizeit und somit auch einen de?nitiven Feierabend hält sie auch zu Hause für wichtig. \ svs
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