Johanna ist gerne auf dem großen Trampolin. In der Sonne hüpft die Zweijährige mit ihrer Mitbewohnerin Jojo auf der Matte, die beiden lachen und halten sich an den Händen. Kurz darauf kommt Johannas Schwester Feli hinzu, sie trainiert momentan Salti. Johanna wird es langsam zu voll auf dem Trampolin, also wechselt sie auf die kleine Rutsche, die daneben steht – genau wie Vater Achmad, der gerade zu Besuch in der Fünfer-WG ist und sich nun mit der Kleinen beschäftigt.
Das ist schon was Besonderes, in einer Wohngemeinschaft groß zu werden. Oder … ? Einerseits ist der Lebensstil für Mutter Annette und die Mitbewohner:innen Jakob und Jojo ziemlich normal. Andererseits haben sich alle auch bewusst für das Leben in einer WG entschieden – und Annette sieht darin auch ganz klar Vorteile für ihre Kinder: „Sie lernen so Leute aus vielen Kontexten und Ländern kennen, außerdem verschiedene Lebenskonzepte und Gewohnheiten“, sagt sie.
Und davon waren in den sechseinhalb Jahren WG-Geschichte des Hauses schon einige vertreten: Annette erzählt von Menschen aus der Mongolei oder Guatemala, von polyamoren Beziehungskonzepten und Co-Parenting, von queeren Personen und einer Bewohner:innen-Altersspanne zwischen 0 und 50 Jahren. „Hier gab es sogar eine Hausgeburt“, sagt sie.
Im Treppenhaus hängt ein selbstgebasteltes Schild, auf ihm steht „Kuchen statt Kohle“. Das kommt öfter auf Demos zum Einsatz, zum Beispiel von Fridays for Future. Dorthin zu gehen, ist gerne gemeinsame WG-Aktion. „Wir backen manchmal Kuchen und verteilen ihn, um auch Leute außerhalb der Demo einzubeziehen.“ Für Jakob hatte der Einzug in die WG auch ein bisschen mit der Frage nach einer nachhaltigen Lebensweise zu tun: „Ich habe mich zum Beispiel gefragt, wie viele Ressourcen ich eigentlich brauche. Die Wohnform finde ich einfach sinnvoll“, sagt der 33-Jährige.
Das Haus ist hell und gemütlich: vieles ist aus Holz, auf einem Klavier im Flur spielen Annette und Feli manchmal. Dass das Haus komplett saniert ist und etwa über ein Passiv-Lüftungssystem, Regenwassertoiletten oder Naturholzdielen verfügt, war für Annette und ihre Mitstreiter ein großer Pluspunkt, als sie nach einem Haus für die ursprüngliche WG gesucht haben. „Sowas gibt es normalerweise nicht als Mietshaus“, sagt sie. Von der damaligen Besetzung sind noch sie selbst und Feli übrig. Sie haben die WG zusammen mit Kolleg:innen von Annette gegründet. Einige Jahre haben Mutter und Tochter vorher zu zweit gewohnt, das hat Annette allerdings als unbefriedigend empfunden. Ähnlich ging es den Menschen, mit denen sie schließlich auf Wohnungssuche gegangen sind: „Das Konzept Kleinfamilie funktioniert nicht für alle.“
Studentin Jojo hingegen hat schon für ihr Freiwilliges Soziales Jahr in Aachen bei einer befreundeten Familie gelebt. „Als ich dann zu Beginn des Studiums auf WG-Suche war, habe ich mir auch einige studentische WGs angeschaut. Es war aber super schwierig, einen Platz zu bekommen“, erinnert sie sich. Als sie dann in der Laurensberger WG aufgeschlagen ist, habe es sofort gepasst: „Ich fand’s klasse, dass hier alle zusammenwohnen. Die familiäre Atmosphäre war sofort da.“ Die 22-Jährige hat der WG ein neues Hobby beschert, wie unschwer an den im Haus verteilten Hörspielen zu erkennen ist: Gemeinsam werden häufig „Die drei ???“-Mitmachfälle gelöst.
Neben den Gemeinschaftsräumen hat jede Person ein eigenes Zimmer – nur Johanna teil sich mit Mutter Annette ein 15-Quadratmeter-Schlafzimmer. Für Johannas Spielzeug ist da natürlich nicht mehr ausreichend Platz, deshalb steht einiges im Wohnzimmer. Das ist Annette etwas unangenehm. „Wir nehmen schon viel vom Gemeinschaftsplatz ein“, sagt sie. Für die Mitbewohner scheint das jedoch kein Problem zu sein. Das Wohnzimmer ist schließlich trotzdem Ort für alle. Dort befindet sich seit Kurzem auch ein großer Bildschirm, für gemeinsame Filmabende. Lebensmittel werden geteilt, das Kochen teilen die drei Erwachsenen unter sich auf – sonntags ist manchmal Feli an der Reihe. Das sorge dafür, dass es immer wieder abwechslungsreiche Gerichte gibt.??\ svs
Am Rande
6,8 Prozent der Befragten (4,8 Millionen Personen) der Allensbacher Markt- und Werbeanalyse 2020 geben an, in einer Wohngemeinschaft zu leben. In Aachen lebten 2019 durchschnittlich 1,74 Personen in einem Haushalt. Bei 57,6 Prozent handelt es sich um Ein-Personen-Haushalte. Die wachsende Anzahl der Studierenden und der allgemeine gesellschaftliche Trend hin zum Single-Haushalt sind für einen steten Anstieg der Ein-Personen-Haushalte verantwortlich. Die durchschnittliche Wohnung in Aachen ist 75 Quadratmeter groß, pro Person stehen im Schnitt 40,5 Quadratmeter zur Verfügung. Im Vergleich zu NRW (Wohnung: 90,5 Quadratmeter; Einwohner:in: 45,5 Quadratmeter) besteht in Aachen schon seit Jahren eine erhöhte Bereitschaft, sich Wohnraum zu teilen oder in kleineren Wohnungen zu leben. (Quelle: Wohnungsmarktbericht 2020, Stadt Aachen)
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