Dongshu Yu studiert Produktionstechnik an der RWTH, Jessica Sahlmann BWL an der FH. Damit sind die beiden die ersten in ihren jeweiligen Familien, die eine Uni besuchen. Dass das trotz aller Hürden machbar ist, wollen sie mit ihrem Engagement bei „First Generation Aachen“ auch anderen Erstakademikern vermitteln. Wie genau sie das schaffen, haben sie im Gespräch mit Klenkes-Redakteurin Lillith Bartczak erklärt.
Was ist „First Generation Aachen“?
Dongshu: „First Generation Aachen“ ist ein Verein, der sich an Erstakademiker und Erstakademikerinnen richtet, sprich Studierende, die aus Arbeiterfamilien kommen. Unser Ziel ist es eine zentrale, universitätsunabhängige Anlaufstelle für Erstakademiker aller Aachener Hochschulen zu sein. ?
Was für Schwierigkeiten ergeben sich daraus, Erstakademiker zu sein?
Jessica: Wir haben festgestellt, dass es Erstakademikern besonders schwerfällt, sich ein Netzwerk aufzubauen beziehungsweise auf ein Netzwerk zuzugreifen. Wenn bereits die Eltern studiert haben, haben diese häufig auch Akademiker-Freunde deren Kinder an der Uni studieren. Die kann man dann fragen, „Wie ist dein Studium? Worauf muss ich am Anfang achten? Gibt es irgendwelche Tipps und Tricks?“ Das haben Erstakademiker häufig nicht. Sie müssen sich diesen Kreis aktiv aufbauen, um von Erfahrungen profitieren zu können.
Je fortgeschrittener das Studium, desto geringer ist der Prozentsatz an Studierenden aus Nicht-Akademiker-Haushalten – wieso?
Dongshu: Ausschlaggebend ist meiner Meinung nach häufig, dass die Eltern sowas sagen wie: „Ich hab‘ schon mit 18 meine Ausbildung gemacht und arbeite seitdem. Du studierst schon 4-5 Jahre, jetzt kannst du doch auch mal arbeiten gehen“. Solche Eltern sehen häufig nicht den Benefit eines Studiums. Aus diesem Grund verzichten Arbeiterkinder häufig darauf, weiter zu studieren. Dazu kommen auch noch Selbstzweifel. Wenn man keinen Ansprechpartner hat, der auch mal sagt „Hey, du kannst super wissenschaftlich arbeiten“, dann weiß man vielleicht gar nicht, was man drauf hat. Einige von uns haben sich im Studium super viel Stress gemacht. Doch das Studium sollte Spaß machen und ist eine der schönsten Phasen im Leben, in der man auch sich selbst besser kennenlernt. Man hat viele Möglichkeiten Dinge auszuprobieren und sich selbst zu fördern. Hier wollen wir ansetzen.
Wie unterstützt ihr die Studierenden konkret?
Dongshu: Unser Patenschaftsprogramm besteht zum einen aus einer Patenschaft mit einem berufstätigen Alumnus und zum anderen aus einen vierteilige Workshop-Reihe zu den Themen Selbst- und Zeitmanagement, Lernmethoden, Motivation- und Potenzialentwicklung sowie Zieldefinition. Damit wollen wir die Studierenden unterstützen, ihr Studium besser zu meistern. Unser Ziel ist es außerdem, Nähe zu schaffen. Wir wünschen uns, dass durch die Patenschaft und die Events, die wir organisieren, nachhaltige Freundschaften zwischen den Studierenden und ihren Paten entstehen. Die Paten sollen als zusätzliche Bezugspersonen fungieren, die auch ein gewisses Verständnis für den Ablauf einer Unilaufbahn haben und dass es nicht schlimm ist, wenn man mal durch Klausuren fällt oder Selbstzweifel hat.
Sind die Paten selbst Erstakademiker?
Jessica: Die meisten. Wir schließen niemanden aus, jeder kann mitmachen, denn wir stehen ja für Chancengleichheit ein. Aber die meisten, die sich angesprochen fühlen, sind Erstakademiker. Dadurch, dass wir hier in Aachen sind, sind natürlich viele Ingenieure und Maschinenbauer dabei, aber wir haben auch Soziologen, Theologen und Psychologen.
Ergeben sich vielleicht auch Vorteile daraus, Erstakademiker zu sein?
Jessica: Die gibt es, klar. Ich habe zum Beispiel schon relativ früh angefangen, in unterschiedlichsten Jobs zu arbeiten. Ich glaube Arbeiterkinder haben häufig einen stärkeren Bezug zum Arbeiten und fangen früher an, sich selbst durch die Arbeit etwas zu ermöglichen und sich durchzubeißen. Dadurch entwickelt man sich natürlich immer weiter.
Dongshu: Und noch ein kleiner Vorteil, den ich gerade in meinem Privatleben sehr zu schätzen lerne: Als Arbeiterkind ist es häufig einfacher an einen Handwerker oder eine Hebamme zu kommen, weil man immer jemanden im Freundes- oder Familienkreis hat.\
Website "First Generation Aachen"
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