Von Svenja Stühmeier
Martin Christfreund ist verärgert. Dauerverärgert, so scheint es. Nun ja, zumindest, wenn er mit dem Rad in Aachen unterwegs ist. Und das wiederum ist er ziemlich häufig und schon seit langer Zeit, bald feiern er und seine Frau immerhin 40 Jahre autofrei. „Wir haben ohne Auto einen Altbau saniert und zwei Kinder großgezogen“, sagt er recht unbeeindruckt. Genauso lange engagiert er sich im ADFC Aachen, den er 1982 mitgegründet und der laut Christfreund „viel Arbeit“ in der Stadt hat.
Der ADFC teilt sich diese Arbeit mit einigen anderen Gruppierungen, zum Beispiel der studentischen Intitiative Uni.Urban.Mobil. (U.U.M.), die sich wiederum aus dem Radentscheid heraus entwickelt hat. Eine Errungenschaft der Gruppe ist der nun temporär autofreie Templergraben. Zusammen mit dem ADFC und dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat sie einen Antrag ans Bürgerforum gestellt, im Stadtrat wurde im Herbst 2020 schließlich das viermonatige Reallabor beschlossen. Am ersten autofreien Wochenende wurde der Templergraben bereits für verschiedene Aktionen genutzt, zum Beispiel eine offene Radwerkstatt und Lastenrad-Trainings. Mit der Wanderbaumallee stehen nun auch einige Bänke und Bäume auf dem Platz, wer’s noch gemütlicher mag, kann es sich in Liegestühlen bequem machen.
„Die Leute haben den Platz bis spät in den Abend hinein genutzt“, sagt Lars Eikmanns am Sonntagnachmittag. Er ist Mitglied von U.U.M. und hat gerade seinen Redebeitrag auf der Rolldemo hinter sich gebracht. Auch die ist gut angekommen: Etwa 150 Personen haben teilgenommen, auf Fahrrädern, Tandems, Inline-Skates und diversen Boards. Ebenfalls dabei: Martin Christfreund und sein Rad, an dessen Korb ein Schild hängt: „mind. 1,5 Meter“ steht darauf, darunter ein Auto und ein Fahrrad durch einen Pfeil getrennt.
Dass das an vielen Stellen Aachens nicht möglich ist, zumindest, wenn das Auto nicht hinter dem Rad bleibt, weiß er. „Die Oppenoffallee ist sehr eng, seitdem es nur eine Spur gibt“, sagt er. „Konsequent wäre dort ein Radfahrverbot.“ Die Autos wird man aus dem Stadtbild nicht vertreiben, es geht darum eine sichere und ausgeglichene Mischung zu finden. Eine Ecke, die Christfreund selbst aus ähnlichem Grund meidet, ist die Normaluhr-Kreuzung. Auch dort sind die eineinhalb Meter Abstand keine Realität. Wie auch, wenn es nur aufgemalte Radwege gibt? Besonders gefährlich sei der Rechtsabbieger in die Zollernstraße, schließlich geht der Radweg geradeaus rechts neben der Autospur weiter. Für beide Straßenteillnehmer eine unübersichtliche, gefährliche Sitation. Der ADFC ist allerdings nicht ganz unschuldig daran, dass die Kreuzung so aussieht. Er hat dem Verkehrsplan 2008 zugestimmt, wenn auch widerwillig. „Erst vor etwa zehn Jahren hat bei uns der Paradigmenwechsel zu baulich getrennten Radwegen stattgefunden“, sagt Christfreund. Zu dieser Erkenntnis habe der Radentscheid beigetragen: „Viel mehr Menschen würden aufs Rad steigen, wenn es nicht so gefährlich wäre. Wir müssen etwas für die tun, die Angst haben.“ Und für Kinder, die andauernd zurückstecken müssten, weil Autos überall mit Vorrang behandelt würden.
Eine Stelle, über die er sich in Aachen freut, ist der sogenannte Überwurf der Roermonder Straße in Richtung Laurensberg. „Ein Streifen ist dort komplett als Radweg ausgezeichnet“, sagt Christfreund. „Aber wie üblich handelt es sich auch hier nur um ein kleines Stück.“
Dass kleine Stücke jedoch nicht immer Misserfolg bedeuten, zeigt wiederum das Beispiel Templergraben, wenn es auch nicht bei dem aktuell autofreien Teil bleiben soll. Die Vision: der Grabenring als Radverteilerring. „Dafür müsste der Autoverkehr zurückgehen“, sagt Lars Eikmanns. Er spricht die Schleifenerschließung an, die bereits Thema in der Politik ist. So bliebe die Innenstadt zwar mit dem Auto erreichbar, die reine Durchfahrt würde sich so aber nicht mehr anbieten.
U.U.M. hofft mit dem Reallabor Einfluss auf den Verkehr zu nehmen. Zweimal fährt der Demozug um den Grabenring, dann heißt es Redebeiträge anhören und entspannen auf der neu gewonnenen Fläche vor dem Super C. „Der Ort war immer stark eingeschränkt wegen der vielen Autos“, sagt Lars Eikmanns und stellt ebenfalls klar: „Es geht uns nicht darum, Autos zu verbannen, sondern um die Verkehrswende. Die brauchen wir gegen die Klimakrise. Alle, die nicht mehr mit dem Auto fahren, machen außerdem Platz für diejenigen, die Autos brauchen.“ Und Platz für Konzerte, Workshops und einen Biergarten auf dem Templergraben. „Der Templergraben soll aber nicht nur Eventcharakter haben“, sagt der 20-Jährige. Menschen sollen den Ort quasi für sich erobern, dort Zeit verbringen und ihn als schönen, öffentlichen Raum wahrnehmen.
Demoteilnehmer Vincent ist schonmal überzeugt. Er hat am Wochenende öfter am Templergraben vorbeigeschaut. „Was noch gut wäre, wären zum Beispiel ein Wasserspender oder Sitzecken“, überlegt er. Genau dafür ist das Reallabor schließlich gedacht: „Hier ist noch nichts in Stein gemeißelt“, sagt Lars Eikmanns, die Zeit sei dazu da, um auszutesten, wie der Templergraben genutzt werden kann. Nach vier Monaten kommt die städtische Evaluation: Hat sich der Verkehr zum Beispiel aus der Innenstadt entfernt? Und wie wird der Raum nun genutzt? Am ersten Wochenende zumindest nehmen noch nicht alle Autofahrer*innen die neue Verkehrsführung wahr oder an. „Wir wünschen uns da konsequentes Eingreifen von der Stadt. Ich glaube aber, dass sich das mit der Zeit verbessert.“
Während sich U.U.M. auf die Fahne geschrieben hat, sich für weitere autofreie Zonen am Grabenring einzusetzen, nennt Martin Christfreund den Platz am Knotenpunkt Schildstraße-Harscampstraße-Schützenstraße als nächstes Projekt. „Der Schildplatz soll zur Fußgängerzone werden. Der ADFC steuert dagegen.“ Er kennt den heute mit einer Bank und etwas Gewächs bestückten Platz noch als Stelle, die mit dem Fahrrad ebenerdig durchfahren werden konnte. Heute gebe es wegen des Bordsteins Rampen, die Räder ausbremst. „Ich wünsche mir klar erkennbare Strecken.“ Und Radrouten, die nicht zum Beispiel von Fußgängerzonen durchkreuzt werden und gut miteinander verbunden sind. \
Mehr radeln
Auf der U.U.M.-Webseite sind nicht nur Projekte und aktuelle Termine der Gruppe zu finden. Im digitalen U.U.M.-Reiseführer sind einige Fahrrad- und Wanderrouten rund um Aachen verzeichnet, die zudem unterteilt sind in gemütliche und sportliche Touren.
Tagestouren
Der ADFC Aachen veranstaltet gemeinsame Radtouren. Zum „Fahren, bis es dunkel wird“ trifft sich eine Gruppe am 2. und 16. August, Treffpunkt ist 18 Uhr am Neumarkt. Am 7. August findet eine Tagestour zum Kasteel Hoensbroeck statt, am 21. geht es in die Heide. Die beiden Fahrten beginnen am Westpark um 11 Uhr. Für den 4. September steht eine Tour zur Gileppe-Talsperre (11 Uhr, Ferberpark) im Kalender, am 18. heißt das Ziel Sittard (10.15 Uhr, Aachen Hauptbahnhof).
Klimaschutzkonzept
Die Bürgerinitiative Klimaentscheid Aachen fordert mittels eines Einwohner:innenantrages, das aktuelle Klimaschutzkonzept der Stadt deutlich anzupassen und somit Pariser klimazielkonform zu machen um so eine Klimaneutralität der Stadt Aachen bis 2030 zu erreichen.
Mitte August sind bereits die ersten 1.200 Unterschriften gesammelt worden. 8.000 sind die Mindestanforderung. An rund 60 Sammelstellen und natürlich online können Aachener Einwohner:innen ab 14 Jahre unterschreiben.
Mehr zum Klimaentscheid Aachen unter: klimaentscheid-aachen.de
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