Von Christian Rein
Es ist ganz offensichtlich: Im Aachener Ludwig Forum für Internationale Kunst (Lufo) herrscht Aufbruchstimmung. Davon zeugen nicht nur die buchstäblich eingerissenen Wände, die dem zentralen Raum rund um die berühmte Mulde in dem ehemaligen Gebäude der Schirmfabrik Brauer zusätzliche Weite geben, sondern auch die großformatigen Holzkisten, in denen die Werke für die kommende Ausstellung auf die Hängung warten, die in den umliegenden Kabinetten bereits in vollem Gang ist. Es ist eine große Überblicksausstellung zu Rosemary Mayer, die Anfang März eröffnet wird, aber dazu später mehr.
Denn mitten in der konzentrierten Betriebsamkeit geht es um das große Ganze. Eva Birkenstock, seit etwas mehr als 100 Tagen neue Direktorin des Ludwig Forums, stellt ihr Jahresprogramm vor. Das allein hat es in sich, denn schon nach so kurzer Zeit mit einem eigenen Programm starten zu können sei zwar großartig, aber auch eine Herausforderung, wie die Direktorin gesteht. Zugleich zieht sie die grundsätzlichen Linien für die Zukunft des Hauses, die sie bei ihrem Amtsantritt Anfang Oktober nur skizziert hatte, schon etwas fester und lässt ein Bild davon erkennen, was das Lufo in ihren Augen sein soll.
Zu diesem Bild gehören ein paar eigenwillige Sitzgelegenheiten aus grobem Holz mit „Kissen“ aus Sandsäcken samt Wasserkanister-Lampe und einer bauzaunartigen Pinnwand in der Mulde. Sie wurden von der schwedischen Installationskünstlerin Klara Lidén gestaltet und gehören zum Veranstaltungs- und Performanceprojekt „reboot: responsiveness“. Allerdings sind sie nicht nur Kunstobjekt, sondern auch Gebrauchsgegenstand. Also: Hinsetzen und der Direktorin zuhören.
Eva Birkenstock sagt: „Das Ludwig Forum ist in fantastischer Weise Museum und Forum zugleich, und damit immer auch ein Ort der Verhandlung und der Produktion.“ So soll durchaus der Museumscharakter betont werden – es sei schließlich das Mutterhaus der Museums-familie Ludwig. Aber es gehe eben darum, die „fantastische Sammlung Ludwig“ mit aktuellen Debatten zu verknüpfen, mit der Sammlung zu arbeiten, sie mit den Fragen der Gegenwart zu deuten und zu konfrontieren. Es geht also, kurz gesagt, um nicht weniger als Relevanz, um künstlerische Positionen zur Zeit. Und es geht um Diskurs. Denn auch das sagt Birkenstock: „Wir werden nicht auf alles Antworten geben können. Aber wir wollen einen Raum schaffen, um gemeinsam über Fragen nachzudenken.“
Eine dieser Fragen wird auf einem Poster an der Bauzaun-Pinnwand in Birkenstocks Rücken gestellt: „How do we stay with the trouble?“, steht dort, zu Deutsch sinngemäß: „Wie können wir unruhig bleiben?“ Die Frage ist angelehnt an das Werk „Staying with the trouble“ der feministischen Theoretikerin Donna J. Haraway. In diesem Fall bezieht sie sich allerdings auf die Sehnsüchte, Ängste und Hoffnungen, die durch die Corona-Pandemie verstärkt werden. Denn darum geht es bei „reboot: responsiveness“. In provisorischen Inszenierungen, Proben, prozesshaften Choreografien und Begegnungen sollen im Verlauf des Jahres immer wieder Themen wie Präsenz, Intimität, Fürsorge und Verantwortung verhandelt werden.
Puh, das klingt so noch recht abstrakt. Greifbarer sind da die Arbeiten der schon genannten Rosemary Mayer (1943-2014). Mit der von Birkenstock selbst kuratierten Schau unter dem Titel „Ways Of Attaching“ gibt die neue Direktorin ihren ersten inhaltlichen Fingerzeig. Mayer sei „lange Zeit völlig grundlos in Vergessenheit geraten“, erläutert sie. Die Ausstellung biete nun erstmalig einen umfassenden Überblick über die zentralen Schaffensperioden Mayers – von konzeptuellen Experimenten in Malerei und Sprache zu Beginn ihrer Karriere, über große Textilskulpturen aus den 1970er Jahren bis hin zu Dauer-Performances und den sogenannten „Temporary Momuments“. Birkenstock stellt Mayers Arbeiten in einen Dialog mit Werken aus der Sammlung Ludwig. Man darf gespannt sein auf die Eröffnung der Schau Anfang März.
Mit zwei jungen Künstlerinnen lotet Birkenstock im weiteren Verlauf des Jahres nicht nur die breite Palette der Spielarten von Kunst aus, sondern auch die räumlichen Möglichkeiten ihres Hauses, das sie in Gänze bespielen will. Die aus Israel stammende, in Berlin lebende Keren Cytter wird im Sommer nicht nur mit einer Ausstellung vertreten sein, die Filme, Skulpturen, Zeichnungen, Publikationen und Arbeiten für Kinder beinhaltet, sondern auch ein Festival kuratieren, bei dem auch der Park des Ludwig Forums eine zentrale Rolle spielen soll.
Die Frage nach dem Café
Die in New York und Berlin lebende deutsche Künstlerin Kerstin Brätsch übersetzt unterdessen Malerei in andere Felder. Eigentlich arbeitet Brätsch, die in diesem Jahr auch bei der Biennale in Venedig vertreten ist, hauptsächlich kollaborativ. Weil sie wegen der Pandemie auf sich selbst zurückgeworfen war, begann sie zu zeichnen. So sind in den vergangenen zwei Jahren rund 100 Arbeiten unter dem Titel „Para Psychics“ entstanden, die im Lufo in Gänze präsentiert werden.
Mit der ersten großen Einzelausstellung der kubanischen Künstlerin Belkis Ayón (1967-1999) im deutschsprachigen Raum knüpft Birkenstock zum Jahresende erneut an die Sammlung Ludwig an, in der Ayón mit 20 Arbeiten vertreten ist. Zugleich schlägt sie eine Brücke in ihre eigene Biografie, denn Birkenstock hat selbst in Havanna studiert und die Kunst Ayóns dort kennengelernt.
Der Aufbruch im Lufo ist auch ein Neustart nach der Pandemie. Für Bir-kenstock ist es auch eine Zeit, in der wieder Dinge möglich werden. „Endlich“, wie sie sagt. „Hoffentlich.“ Dass noch viele Dinge ungeklärt sind – etwa die Frage nach der Gestaltung eines künftigen Cafés – liegt schlicht daran, dass manche Antworten ihre Zeit brauchen. „Aber es wird ein Café geben“, sagt Birkenstock, die sich um nachhaltige, tragfähige Lösungen bemüht. Auch die Renovierung des „Space“ laufe derzeit nach Plan. Wann sie abgeschlossen sein wird? Offen. „Aber ich bin optimistisch.“
Das Lufo ist im Wandel. Der Anfang ist gemacht. \
Erste Schau
Lufo-Direktorin Eva Birkenstockstartet mit der Ausstellung „Rosemary Mayer. Ways Of Attaching“ das neue Programm. Die Schau, die in Partnerschaft mit dem Swiss Institute in New York, dem Münchner Lenbachhaus und dem Spike Island in Bristol organisiert wird, ist vom 5. März bis 22. Mai zu sehen. \
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