Gestalterisch zu arbeiten, bedeutet nicht nur, etwas Vorhandenem Form und Farbe zu geben. „Gestalter generieren auch Inhalte“, sagt Prof. Lorenz Gaiser, Dekan des Fachbereichs Gestaltung der Fachhochschule (FH) Aachen. Was das konkret bedeutet, wird sichtbar bei der “Diploma”, eine Ausstellung der Abschlussarbeiten der Produkt- und Kommunikationsdesign-Studierenden.
Carolin Büchel hat sich in ihrer Masterarbeit mit dem Thema Fitnesstraining auseinandergesetzt. Sie hat „Gymlet“ entwickelt – quasi ein faltbares Fitnessstudio, das in den Rucksack oder die Fahrradtasche passt. „Ich habe festgestellt, dass Menschen mittlerweile Fitnesstrainings absolvieren, um gesund zu sein, und nicht, um Muskelmasse zu optimieren“, erzählt die Geräteturnerin. Auf diesen Lebensstil ist ihr Gerät ausgelegt. Zum einen ist es an jedem Ort einsetzbar. Zum anderen wird es auch von Seilen zusammengehalten, die kleine Schwingungen abgeben und damit die Stütz- und Strukturmuskeln trainieren. „Dadurch lösen sich Verspannungen, die zum Beispiel entstehen, wenn man viel am Schreibtisch arbeitet.“ Eine Vermarktungsstrategie liefert sie ebenfalls.
Neben der gestalterischen Kompetenz wird den Studierenden schließlich auch vermittelt, wie sie ihre Produkte markttauglich konzipieren. „Ein Modell sollte viele Jahre lang funktionieren“, sagt Prof. Matthias Rexforth, dessen Lehrgebiet das Interior Design ist. Am Beispiel von Suzan Incemann-Cremers Stuhl macht er kurz deutlich, warum: Ein verkauftes Exemplar würde am Ende etwa fünf Euro auf ihrem Konto bedeuten. „Da kannst du dir ausrechnen, wie viele du verkaufen musst, um einen Grundstock zu schaffen“, sagt er zu der Bachelorabsolventin.
Während Carolin Büchels Fitnessgerät allein schon wegen seiner Optik ins Auge fällt, fügen sich Suzan Incemann-Cremers Eichenholzstühle perfekt in den abgedunkelten und indirekt beleuchteten Ausstellungsraum ein. „Aha, ein Stuhl“, könnte man meinen, schließlich ist das Sitzmöbel an sich keine neue Erfindung. Gleichzeitig hat es was, das schlichte Design, und wer der Studentin zuhört, kann dieses diffuse Gefühl des Gefallens auch etwas präziser einordnen. Ihr Ziel: Ein Möbelstück erschaffen, das Sicherheit und Spiritualität ausstrahlt. „Das japanische Möbeldesign habe ich mir als philosophisches Vorbild genommen“, sagt sie. Holzstuhl ist eben nicht gleich Holzstuhl.
Die Produkte in der Ausstellung haben viele Bearbeitungsschleifen durchlaufen. Einem etwa sechswöchigen Praxisprojekt, in dem die Konzeption entsteht, folgen zwölf Wochen der Umsetzung. „Was hier steht, kann in die Produktion gehen“, sagt Matthias Rexforth. Und auch wenn es nicht jede Abschlussarbeit auf den Markt schafft, so zeige sie potenziellen Arbeitgeber:innen, dass die Absolvent:innen in der Lage sind, in einem kurzen Zeitraum den Gesamtprozess von der Konzeption bis zur Produktion zu durchlaufen. „Die Studierenden sind fit. Sie erkennen den Bedarf und entwickeln ihre Ideen selbst“, sagt Lorenz Gaiser. Manche davon sind sehr speziell: Robert Franke etwa hat mit „Runica“ ein digitales Schriftsystem für Runen entwickelt, das mehr als 100 Zeichen umfasst und die kleinen Details einbezieht, die zum Beispiel eine regionale Einordnung der Rune zulassen. „In meinem Bachelorstudium habe ich mich mit rechtsextremen Symbolen auseinandergesetzt“, erzählt er. Dabei stieß er auf das germanische Schriftsystem, das für ideologische Zwecke der Nazis instrumentalisiert wurde. Eine Kieler Expertin hat ihn unterstützt, eventuell werden sie auch weiterhin zusammenarbeiten.
Die Ausstellung deckt noch viele weitere Designbereiche ab. So stellen Studierende aus dem Bereich Video komplett selbst produzierte Filme vor. Im Bereich Fotografie sind Arbeiten mit einem Fokus auf Dokumentation zu sehen, genauso auch abstrakte Visualisierungen und eine Arbeit, die die Erinnerungskultur thematisiert. Andere Studierende wiederum haben Corporate Designs erstellt, etwa für das Ludwig Forum. Und wieder andere haben Kampagnendesigns erarbeitet, zum Beispiel das für das Vielgut-Festival, das Ende Juli am Tuchwerk stattfinden wird. \
Von Svenja Stühmeier
WEITEREMPFEHLEN