Fünfzehn Minuten Prolog. Da kommt gleich die Frage auf, wessen Geschichte das hier eigentlich ist. Die, der 100-Jahre-Schlafenden oder die, der Fluchbringenden?
Tja, das liegt im Auge des Betrachters. Sicher ist, dass Annette Schmidt als Malefiz einfach absolut überzeugt. Bei Sonnenuntergang thront sie mit rotem Dornen-Ranken-Stab und Mephisto-Kopfschmuck über den Zuschauern und erzählt ihre Version der Dornröschen-Geschichte. Mal mit bebender Stimme, dann mit höhnischem Lachen. Sie wollte dem „Püppchen“ nichts Böses, wollte sie vorbereiten auf das Leben, statt wie die anderen so banale Dinge wie Reichtum, Tugend, Schönheit und Gehorsam zu wünschen. Da kam dann die Sache mit der fehlenden Einladung dazu, die Demütigung ein Geschirr zu wenig zu haben, noch zwei bis drei dämliche Lügen seitens des Königs, ein bisschen verletzter Stolz und ziemlich wenig Selbstkontrolle … und da war es eben passiert: 100 Jahre Schlaf. Und jetzt ist der Zeitpunkt des Aufwachens gekommen.
Und der Zuschauer wird gebeten, sich in die Ruine zu begeben, um selbst zu sehen, was aus dem „Püppchen“ geworden ist.
Und da sitzt es, das Dornröschen (Paula Luy), und schläft. An seinem Finger klebt noch das Blut. Fragt man sich gerade noch, ob diese Position, sitzend auf einem Stuhl, bei einem hundertjährigen Schlaf überhaupt für Erholung gesorgt hat, lernen wir den Helden der Handlung kennen. Der Proleten-Prinz (Falk Philippe Pognan) mit nacktem Oberkörper und gegeltem Haar begrüßt die Schlafende mit: „Ey Prinzessin, lass’ dein Haar herab!“ Falsches Märchen, denkt man kurz, da wird man aufgeklärt. Der schmucke Prinz nimmt die Prinzessin, die er kriegen kann, egal welche „Bitch“ sich den Kuss der wahren Liebe geben lassen will.
Zur Einstimmung macht er widerliche Schleck-Übungen mit dem Mund, trägt nochmal Deo auf und versucht sich einen Weg ins Schloss zu bahnen. Natürlich mit Muskelkraft und nicht mit einem klugen Köpfchen. Und da ahnt man es schon. Das Gehirn, das er zu wenig nutzt, wird sie gleich mehrfach anstrengen. Denn kaum ist sie erwacht, geht nicht nur ihr Mundwerk an, sondern auch das Gedankenrasen. Wer bin ich? Wer könnte ich sein? Wer will ich sein? Wer hätte ich sein sollen? In allen Stimmfarben, mal blubbernd, mal fiepend, gibt Luy die Jelinek-Textbausteine zum Besten. Verhaspelt sich nie, bringt den Zuschauer zum Staunen und Nachdenken.
Und während sie sinniert: „Ich weiß nicht, wer ich sein werde, wenn ich aufgewacht bin“ fängt der Prinz an ein Haus zu zimmern und seine Muskeln spielen zu lassen. Wer er sei? „Ich bin Gott!“, brüllt er. Natürlich, warum nicht aus dem Vollen schöpfen. Luy und Pognan spielen das ungleiche Paar überzeugend und sorgen für viele Lacher. Irgendwie aus der Zeit gefallen und doch total normal und modern. Ein toller Abend im Theater K. Da kann man nur hoffen, dass Mona Creutzer Lust bekommt die „Prinzessinendramen“ fortzusetzten. / kw
12., 13., 19.+20.8.2023
„Dornröschen“ – Ein Prinzessinendrama von Elfriede Jelinek
Diverse Uhrzeiten, Ruine am Tuchwerk, Strüverweg
www.theaterk.com
WEITEREMPFEHLEN