Jacob, der Sohn von Pascaline und Lionel Hutner, hält sich für die Sängerin Céline Dion – was seine Eltern wiederum für ziemlichen Schwachsinn halten. Und deshalb haben sie Jacob, in pinkem Jogginganzug wunderbar dramatisch überzogen gespielt von Lukas Jakob Huber, in einer Klinik einquartiert. Dort findet der Junge recht schnell einen Freund, nämlich Philippe (Robert Flanze), der sich wiederum für eine Person of Colour hält und ebenfalls therapiert wird. Damit aber noch nicht genug: Die Anstalt führt eine namenlose Psychiaterin mit einem Faible für Leoparden-Looks. Durch die vollkommen überzogene Art, mit der Nicole Kersten sie spielt, wird schnell klar: Hier spinnen nicht nur die Patienten, auch Frau Doktor, die beim Autofahren noch nie gebremst hat, ist nicht ganz koscher.
Dabei ist sie diejenige, die laut auslebt, was unsere sich frei rühmende Gesellschaft und die Firma Mattel mit ihrer Barbiepuppe so schön proklamiert: Du kannst alles sein! Und wenn es eben ein Junge ist, der sich für Celine Dion hält. Oder ein wegen seiner Hautfarbe diskriminierter Schwarzer, selbst wenn er weiß ist. Außer du verletzt damit jemanden.
Und hier kommen wir zum Problem: Die Dion’sche Identitätsübernahme von Jacob verletzt die Eltern. Und das sogar sehr. Ist Pascaline (Friederike Pöschel) zwar ebenfalls von der Entwicklung ihres Sohnes überfordert, kann sie sich nicht davon frei machen, seine liebende Mutter zu sein und ihn sogar bei seinen wildesten Céline-Performances zu bejubeln. Wunderbar, wie Pöschel erst stocksteif mit einem Fuß wackelt, unsichere Blicke hin- und herwirft, ein Dauergrinsen auflegt, dann schräg im Rhythmus klatscht und schließlich, wie ein Teenie-Fan ihrem Sohn zujubelt. Hätte sie dabei auf den Text geachtet, wäre ihrem Sohn besser geholfen gewesen …
Anders Jonas Gruber als Lionel: Er hat mit schlimmster Verzweiflung zu kämpfen, die sich rund zwei Stunden fest in seiner Mimik verankert hat, wie die Pralinenschachtel, die er dauerhaft fest umklammert. Innerlich hat er vermutlich längst aufgegeben. Schuld ist die Dauerüberforderung, die sich aus dem Zwist seiner Identität zwischen seiner zugewiesenen Rolle als „Familienoberhaupt“ und seiner sich selbst auferlegten, des „Waschlappens“ ergibt. Auch hier gelingt die Balance zwischen Tragik und Komik, der ernste, fast weinerliche Blick, der auch im ärgsten Moment eines eingebauten Slapsticks nicht einbricht.
Slapstick ist in der Inszenierung von Harald Demmer ohnehin ein gutes Stichwort. Es wird kein angerissener Witz ausgelassen, immer noch einer draufgesetzt. Völlig überzogen wirken die Rollen, jedes Klischee wird noch ein bisschen weiter ausgebaut, die Hose pinker, die Haare länger, das Bühnenbild bunter, der Ventilator im Turbogang. Aber dadurch wird die inhaltliche Härte erträglich. Lachen erlaubt, trotz Debatte um kulturelle Aneignung, falsch gelesene weibliche oder männliche Personen, Identitätsfindungen und Überforderung.
Natürlich könnte man sagen, den guten Stoff hat Yasmina Reza geliefert, die spätestens seit „Gott des Gemetzels“ aus kaum einer Kammerproduktion wegzudenken ist, aber die Umsetzung wurde vom Grenzlandtheater geliefert. Und zwar so, dass es teils ein bisschen drüber war, aber laut Premierenpublikum genau richtig. Ein gesellschaftssatirischer Abend über die Wirrungen unserer Zeit. Lustig, fast albern, dennoch stellenweise traurig. Dafür gab es verdient begeisterten Applaus. kw
bis 21.10.
„James Brown trug Lockenwickler“
20 Uhr, Grenzlandtheater Aachen
bis 2.11.
„James Brown trug Lockenwickler“
20 Uhr, diverse Orte Städteregion
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