Herford, Bad Salzuflen, Bielefeld. Ausgerechnet die ostwestfälische Provinz war ein gewichtiges Sammelbecken junger Musiker*innen, die alle irgendwann den Weg nach Hamburg antraten. Bernadette La Hengst, Frank Spilker (Die Sterne), Jochen Distelmeyer (Blumfeld) und Bernd Begemann gehörten dazu. Aber das wäre vielleicht nie geschehen ohne „Fast Weltweit“, das im spießigen Bad Salzuflen als winziges Indie-Label entstand und für die Entwicklung der Hamburger Schule nicht unerheblich war.
Es war eine weitere bleierne Zeit. Deutschland war noch nicht wiedervereinigt. „Stattdessen gab es stumpfen Deutschpunk, Tschernobyl, die Hochphase des „Gleichgesicht des Schreckens“ im Kalten Krieg, Punk und Hardcore waren noch lange nicht durch die Riot-Grrrl-Szene für überkommene Mannsbilder sensibilisiert. In diesen Achtzigern mussten sich die Protagonisten orientieren, die Spurensuche … führt einmal mehr quer durch die BRD, durch den Schwarzwald, das Ruhrgebiet, Niedersachsen und das Umland Hamburgs. Mit dem Gefühl der Enge, Provinzialität und Piefigkeit des eigenen Herkunftsortes und dem Drang, dem zu entfliehen, standen die späteren Musiker der Hamburger Schule natürlich nicht alleine da - die Empfindung, nicht hierher zu gehören, kennen wohl die meisten Jugendlichen.“
Ein Sammelbecken für alle Ankommenden war sicherlich das damals noch nicht gentrifizierte St. Pauli. Es gab eine gut funktionierende Clubkultur sowie kleine engagierte Label wie L’Age d’Or, WSFA oder Buback Tonträger. Für „Die Bürger von Hoyerswerda und anderswo“ kollaborierten die Goldenen Zitronen mit den HipHoppern Easy Business und Eric „IQ“ Gray. Große Teile der Szene suchte künstlerischen Anschluss an eine irgendwie geartete linke Politik und engagierte sich gegen diese erschreckend nationalistischen Aufwallungen in Rostock, Solingen, Hoyerswerda etc..
Musikalisch passte viel unter den großen Hut der Hamburger Schule. Bands wie Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs, Kolossale Jugend, Ja König Ja, Absolute Beginner, Bernd Begemann mit seiner Band Die Antwort, Rocko Schamoni, Die Braut haut ins Auge und natürlich Tocotronic. Songtexte wurden wichtig wie bedeutungsschwer („Diskurs-Pop“) und deshalb sangen sie trotz John Peel und Britpop-Einflüssen – in ihrer Muttersprache. Als im Osten die Mauer fiel, wurde Berlin der neue Sehnsuchtsort vieler Provinzler in Ost und West. Die Hamburger Schule war Geschichte. \Richard Mariaux
Für „Der Text ist meine Party“ erinnerten sich u.a. folgende Musikerinnen und Musiker:
Bernd Begemann
Myriam Brüger (L’Age D’Or)
Ale Dumbsky (Buback)
Ebba & Jakobus Durstewitz (Ja König Ja)
Charlotte Goltermann (L’Age D’Or)
Carsten Hellberg (Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs)
Bernadette La Hengst (Die Braut haut ins Auge)
Oliver Hörr (Boy Division)
Bernd Kroschewski (Boy Division, Hrubesch Youth)
Tobias Levin (Cpt. Kirk &.)
Dirk von Lowtzow (Tocotronic)
Jan Müller (Tocotronic)
Hans Nieswandt (Whirlpool Productions)
Carol und Chris von Rautenkranz
Knarf Rellöm (Huah!)
Frank Spilker (Die Sterne)
Linus Volkmann
Rebecca „Nixe“ Walsh
Frank Werner (Fast Weltweit)
Thorsten „Taucher“ Wessel (Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs)
WEITEREMPFEHLEN