Obwohl beide Institutionen unglaublich aktiv in der Kinder- und Familienarbeit in der Region sind, kannten sich die Akteurinnen bisher noch nicht persönlich, deshalb passte ein gemeinsamer Termin für unsere Serie perfekt. Bei diesem „Date“ braucht es keine lange Aufwärmzeit.
Kaum haben sich Sandra Jansen und Simone Jansen (nein, sie sind nicht verwandt) vom D-Hof und Pelin Yigit und Catrin Renzelmann von Türöffner e.V. begrüßt, entfacht ein lebhaftes Gespräch, bei dem sich die Vier die Bälle nur so zuwerfen – und ich mit meinen Notizen kaum hinterherkomme. Kennengelernt habe ich Pelin Yigit vor einigen Jahren bei der Aktion „Eilendorf kocht“, wo ich für den Klenkes eigentlich nur ein paar Fotos machen wollte und mich dann unter der Anleitung von Pelins Schwester mit einem Küchenmesser vor einem riesigen Berg Petersilie wiederfand, die für den Salat kleingeschnitten werden sollte.
Aus einem Paar-Minuten-Termin wurden etliche Stunden inklusive eines köstlichen Festmahls mit türkischen Spezialitäten inmitten von unbekannten Menschen, die beim gemeinsamen Kochen und Essen eine friedlich-freundliche Form des Miteinanders demonstrierten, die mir ausgesprochen positiv im Gedächtnis blieb. Genau wie die ausgelassene Feier für die Auszeichnung des Projekts 2018 mit dem Aachener Integrationspreis.
„Ich frage nicht danach, ob jemand Deutsch, Arabisch oder Türkisch spricht, bei mir gilt die Herzenssprache“, fasst die Erzieherin und Sozialarbeiterin Pelin Yigit ihre Motivation zusammen: „Aus eigenem Erleben kenne ich die Schwierigkeiten Zugewanderter in einem neuen Land. Auf meinem Weg gab es viele Menschen, die mich unterstützt haben. Deshalb haben wir 2016 den Verein Türöffner e. V. gegründet, um Teilhabe und Chancengerechtigkeit für alle zu ermöglichen.“ Die Herkunft eines Menschens solle sich positiv auf seine Zukunft auswirken, nicht negativ.
Auch im D-Hof wird regelmäßig beim „Familienkochen“ gemeinsam geschnibbelt und gegessen. Dabei war der Projektstart schwierig: Ursprünglich wurden kostenlose Kochkurse unter Leitung einer Ernährungswissenschaftlerin für die Eltern angeboten, allerdings war die Resonanz so verhalten, dass kein Kurs zustande kam. Erst als man das Konzept von „Wir vermitteln euch Kompetenzen“ in „Wir wollen von euch lernen“ umwandelte, wurde das „Familienkochen“ zum Selbstläufer. Seit mehr als zehn Jahren liegt ein Schwerpunkt auf der Gesundheitsförderung junger Menschen im Stadtteil Driescher Hof – einem Ort, geprägt von Menschen unterschiedlicher Herkunft, mit verschiedensten sozialen Voraussetzungen und vielfältigen Bedürfnissen, in dem fast jedes zweite Kind in Armut aufwächst.
„Wir machen Lobbyarbeit auch für die, die an den Rand gedrängt werden“, erklärt die Diplom-Sozialpädagogin Sandra Jansen, Leiterin des D-Hof. „So führte der erste Lockdown zu großer Not bei den Familien, da viele von jetzt auf gleich arbeitslos waren oder keine Kleidung für die wachsenden Kinder hatten.“ Sie überlegt einen Moment und sagt dann: „Der D-Hof ist seit 1981 täglich für über 300 Kinder und Jugendliche im Driescher Hof ein sicheres, zweites Zuhause. Unser Ziel ist es, die Welt größer und schöner zu machen.“ Ihre Kollegin Simone Jansen ergänzt: „Manchmal sieht man die Früchte der Arbeit erst später, wenn jemand kommt und sagt, ohne euch hätte ich das nicht geschafft. So hat unser Internetcafé einem jungen Mann den ersten Zugang zum Internet ermöglicht, heute ist er Software-Entwickler in Berlin.“
Die Mission des Teams von 14 pädagogischen Fachkräften, rund 20 pädagogischen Ergänzungskräften sowie Ehrenamtlichen und Praktikanten: durch vielfältige Angebote gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und nachhaltig Resilienz zu fördern. Beispielsweise mit der systematischen Gesundheitsförderung „Let’s move“, dessen Projekt-Bausteine Ernährung, Garten, Bewegung, Entspannung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit auch die Familien mit einbezieht. Während der Coronazeit versorgte der D-Hof die Familien im Stadtteil mit „Kochtüten“. Es wurden zunächst 30, später dann 85 Tüten mit frischem Gemüse täglich an die Familien ausgegeben, damit sie während des Lockdowns eine sinnvolle Tagesstruktur hatten, die Familienmitglieder miteinander ins Gespräch kamen und die Kinder ihre zuvor in den D-Hof-Kochkursen erworbene Kochkompetenz anwenden konnten.
An positiven Beispielen fehlt es beiden Institutionen nicht: Im Alten Bahnhof in Würselen bei Türöffner e.V. können Eltern mit ihren Kindern bei der „Gesundheitsoase“ nicht nur gesund frühstücken, sondern auch gemeinsam spielen, basteln, sich bewegen und andere Eltern kennenlernen. Im Bereich „Frauenstärkung“ setzen sich Pelin Yigit und Catrin Renzelmann mit Sprachkursen, Gesundheits- und Bewegungsangeboten sowie kulturellen Projekten für die Persönlichkeitsentwicklung und Unterstützung bei der beruflichen Weiterentwicklung von Frauen ein. Beim Weihnachtsmarkt werden Upcycling-Schätze aus alten Jeans verkauft, die die Frauen genäht haben, demnächst wird ein Foodsharing-Punkt eingerichtet.
Die Hilfe kommt oft still und pragmatisch, es gibt einen Spendenraum, in dem die Leute Kleidung oder Hausrat abgeben oder sich ganz ohne Scham das nehmen können, was sie gerade brauchen. Ein befreundeter Entrümpler ruft an, wenn er bei einer Haushaltsauflösung auf eine funktionierende Waschmaschine trifft, da er weiß, dass es bei Pelin und Catrin garantiert eine Familie gibt, die dringend eine benötigt. „Uns ist das Prinzip Geben und Nehmen wichtig, wer etwas von uns bekommt, hilft dann beim nächsten Mal an anderer Stelle“, sagt die diplomierte Sozialarbeiterin, Familienbildnerin und Interkulturelle Trainerin Catrin Renzelmann und erzählt von einer konservativen türkischen Familie, die sie begleitet habe. Als die Tochter einen deutschen Freund hatte, hat sich die Mutter geöffnet und ihre Tochter darin bestärkt zu studieren. Nach der Heirat mit dem Deutschen arbeitet die Tochter inzwischen im Management und habe während der Coronazeit von ihrem ersten Gehalt iPads für die Kinder beim Türöffner e.V. gekauft.
„Dann wissen wir, warum wir das machen“, meint Renzelmann und Pelin Yigit ergänzt: „Vielleicht sollten wir mal eine Veranstaltung, eine Lesung nur mit solchen Erfolgsgeschichten machen.“ Was beide Institutionen auszeichnet, ist der respektvolle und offene Umgang der Menschen miteinander: Hier wird Vielfalt wirklich gelebt – und auch schon an die Kleinsten vermittelt. Im Frühjahr 2024 grüßten die Kinder vom D-Hof unter dem Motto „Wir sind vielfältig und gemeinsam verschieden“ in ganz Aachen von großen Plakatwänden und Litfaßsäulen. Und bei den Feierlichkeiten zu „100 Jahre Stadtrechte“ lief die Türöffner-Truppe ganz selbstverständlich neben Karnevalsgesellschaften, Schützenvereinen und Freiwilliger Feuerwehr. Mittendrin und nicht nur am Rand, wie Pelin Yigit zusammenfasst: „Alle Vereine waren eingeladen, deshalb sind wir hin und waren auch willkommen. Wir gehören einfach zu Würselen!“
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NOTIZ
Seit Ende der 1970er Jahre ist der gemeinnützige Verein Kinder- und Jugendhilfe Driescher Hof e.V. Träger des D-Hof für Kinder und Jugendliche. Er wurde von engagierten Familien im Stadtteil Driescher Hof gegründet und zählt heute rund 30 Mitglieder. Der Verein Türöffner e.V. wurde mit Unterstützung weiterer engagierter Menschen 2016 von den Sozialarbeiterinnen Pelin Yigit und Catrin Renzelmann gegründet und wird von einem ehrenamtlichen Beirat und Aufsichtsrat fachlich begleitet.
D-Hof - Kinder- und Jugendhilfe Driescher Hof e.V.
Türöffner e.V.
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