Maurice Maeterlincks symbolische Dichtung gab die Vorlage für die Inszenierung „Der blaue Vogel“ von Helga Lázár in der Kammer des Theater Aachen. Bühne und Kostüme stammen von Justyina Koeke, Musik und Raumklänge von Petra Százi. Im 1908 erstmals aufgeführten Drama begeben sich die Geschwister Tyltyl und Mytyl auf der Suche nach dem blauen Vogel in das Land der Zukunft, das Land der Finsternis und in einen Wald, können aber nirgends den blauen Vogel finden. Bei ihrer Rückkehr stellen sie fest, dass nur eine Nacht vergangen ist und ihre Reise wohl nur ein Traum war.
Das symbolistische Märchenstück über die Suche nach dem Glück verbindet mystische Erkenntnisse mit einfachen Sichtweisen auf das Leben, eine Idee, die man im Theater Aachen in die Gegenwart holt: Das Mädchen Mytyl (Nola Friedrich) lümmelt nölend und gelangweilt auf dem Sofa, der Bruder Tyltyl (Luc Schneider) ist von anstrengender Strebsamkeit.
An einem beliebigen Abend streiten sie sich, essen Chips und wollen Pizza bestellen.
Typisch Gen Z mag man denken. Als plötzlich eine Fee (Thomas Hamm) hineinschneit – mit Bart, Tüllrock und rutschendem Spitzhütchen – nimmt das Drama seinen Lauf. Den theatralisch vorgetragenen Wunsch der schrullig-schrägen Fee, zur Rettung ihrer Tochter den blauen Vogel zu finden, können die ungleichen Geschwister nicht abschlagen.
Die Fee gibt ihnen zur Unterstützung einen Diamanten, einen Hund (Janina Sachau, eingesprungen für den verletzten Jonas Dumke) und eine Katze (Shehab Fatoum) an die Hand für eine Reise durch fantastische Landschaften, um den blauen Vogel – und das Glück – zu finden.
Und hier, wo das Märchen so richtig an Fahrt aufnimmt, beginnt auch das Chaos, das einem wirren Drogenrausch gleicht, bei dem sich vor allem Hund und Katze mit vollem Körpereinsatz hervortun. Alles erwacht zum Leben: Die Dinge und die Tiere werden mit simplen, aber effektvollen Attributen zu Begleitern einer Reise, bei der es nicht darum zu gehen scheint, das Ziel zu erreichen, sondern eher um den ekstatischen Einsatz des Materials.
In der zunehmend absurder werdenden Märchenwelt dreht beispielsweise Shehab Fatoum mit nacktem Oberkörper und grellen Flammenhänden und - nur mit ein paar aufgeklebten Schnurrhaaren ausgestattet - als biestig-hinterlistige Katze richtig auf, ein gruseliges Waldobjekt aus Fell, Holz, Geweihen und Müll als Metapher für Umweltzerstörung und Missachtung der Schöpfung hat ebenso seinen Einsatz wie Plastikspermien, Spielzeugpanzer und ein ferngesteuertes Eichhörnchen. Klingt skurril? Ist es auch, genau wie das ebenso wirre wie charmante Kurzvideo auf der Webseite des Theaters als Teaser auf den mystisch-schrägen Abend in der Kammer. /kw
„Der blaue Vogel“ Kammer, Theater Aachen
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