Das Zwitterhafte ist auf Eroberungstour. Kunst wird hybrid. Ein gepflegtes Crossover bestimmt die neue Ästhetik, Stile und Genres werden ungeniert gemixt und so verwundert es wenig, wenn Familie Usher in einem Graphic Novel ihr Zuhause findet. Dieses ehrenwerte Haus beherbergt in Wilke Weermanns Inszenierung nicht nur die geistlich stark mitgenommenen Geschwister Madeline und Roderick Usher sondern auch Dr. Arthur Gordon Pym, die schöne Ligeia aus der gleichnamigen Erzählung und das doppelte „W“, William und Wilson aus einem weiteren doppelbödigen Werk des Meisters. Mit dem unheilvollen Geschnatter des Raben untermalt und mit einer wilden Textmixtur aus Poe’scher und Weermann’scher Feder ausgeschmückt, geht das Haus Usher seinem Untergang entgegen.
Doch leider verhält es sich wie bei den Serienmanufakturen, Geschichte folgt den Effekten und wird mitunter von ihnen begraben. Lebendig, wie die arme Madeline. Die Inszenierung wirkt blutleer – was allerdings Absicht sein könnte, schließlich sprühen auch die Protagonisten nicht vor Leben. Eine zombiehafte Anmutung haftet an ihnen, alles wirkt verlangsamt, obwohl am Leben, sind sie bereits tot. Dieser Mangel an Spannungsbögen wird der meisterhaften Düsternis und der zwischen Subtilität und Ekstase schwankenden Welt des Edgar Allan Poe nicht gerecht. Zwar kommt sein Schrecken oft auf leisen Sohlen daher, hinterlässt aber einen umso größeren Hall.
Dabei hat dieser Schrecken ein schickes Zuhause. Die Bühne von Alexander Naumann hat den Charme eines Pop-Up Buches, sie erinnert vage an die Zeichnungen des britischen Illustrators Aubrey Vincent Beardsley oder an die Film Noir Ästhetik Frank Millers. In der Tat wirkt sie wie ein aufgeklapptes Buch und behält auf eigentümliche Weise ihre Zweidimensionalität. Die Zitate aus der Comic Welt, besonders die differenzierte Lichtsetzung, funktionieren hervorragend. Allseits bekannte Soundwords wie „Schmatz“, „Klack“ und „Knirsch“ werden durch ein ausgeklügeltes Sounddesign und Musik von Constantin John in das 3D Universum katapultiert und hallen durch die Gemäuer des Theaters. Doch so gut sie auch funktionieren, so schön die Türen auch knarzen, sie sind zum Schmunzeln aber wenig zum Gruseln.
Auch die zwischen Adams Family und Emily the Strange angesiedelten Kostüme von Josa Marx passen perfekt in die grafische Welt. Schön aber doch etwas zu oft gesehen, wirken sie eher plakativ als nuanciert. Im grafischen Passepartout eingefasst, wandeln die Akteure wie zarte Scherenschnitte, auf feinen Papierlaschen aufgeklebte Figuren, durch dieses überdimensionale Ziehbilderbuch. Das Hindrapierte macht Sinn, das Verharren in Posen unterstreicht die Gesamtästhetik. Eine beachtliche schauspielerische Leistung, doch eine gewisse Emanzipation von der zugewiesenen Rolle könnte der Inszenierung eine ungeahnte Tiefe verleihen. Es gibt sie, diese Momente des Ausbruchs, doch münden sie eher in Slapstick, das erhoffte Schaudern stellt sich nicht ein. Einer Essenz entzieht sich die Inszenierung hartnäckig, doch wird diese vielleicht zu wichtig genommen. „Mit einem scheckig bunten Gemisch…“ (Der Eroberer Wurm, Poe) aus altbekannten und neuen Ideen bietet die Inszenierung einen durchaus vergnüglichen Abend. /Enikö Kümmel
15., 19.+25.12.
„Der Untergang des Hauses Usher“
17 Uhr, Großes Haus, Theater Aachen
www.theateraachen.de
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