Von Manfred Kistermann
Kaum zehn Kilometer westlich vom Aachener Marktplatz entfernt lag einst eines der größten Bergbaugebiete Europas. Dort wurde das Grundmaterial für ein besonderes Metall gewonnen. Der Stoff, der aus der Erde kam, sorgte dazu noch für ein über hundert Jahre dauerndes Niemandsland und wollte eine Kunstsprache, die sich bis dato Esperanto nennt, aufleben lassen. Der kleine Grenzort Kelmis schrieb einst große Geschichte.
Schon der Name Kelmis legt Zeugnis ab. Das abgebaute „Galmei“, plattdeutsch „keleme“ oder „kelms“, führte zur Ortsbezeichnung. Das hochwertige, schwefelarme Galmei des „Altenberg“ (französisch Vieille Montagne) wurde im Mittelalter vor allem für die Herstellung von Messing eingesetzt, wobei Kupfererz und Galmei vermischt mit Holzkohle eingeschmolzen wurden. Später wurde daraus Zink hergestellt.
Die Geschichte der Zinkindustrie, des Ortes und der Menschen ist seit mehr als einem Jahr sehr anschaulich in einem neuen Museum mit dem Namen Vieille Montagne an der Lütticher Straße zu erleben. Im sehr schön restaurierten Haus der ehemaligen Bergwerksdirektion zeugen viele Exponate von den alten Zeiten.
Stolz präsentiert die Museumsleiterin Céline Ruess Dokumente, Bilder, Werkzeuge oder zeitgenössische Zeitungen. Vieles ist greifbar. „Wir wollen ein Museum zum Mitmachen sein“, sagt sie und zieht an einem Glasrohr in der Tischplatte. Darin verbirgt sich ein Galmei-Stein. Dieses Material, aus dem Geschichte und Reichtum des Ortes entstanden sind, begegnet dem Besucher auf Schritt und Tritt. „Damit hat das alles angefangen“, betont Céline Ruess. Schon Karl der Große soll rund um den Altenberg in der Erde habe buddeln lassen. Damals vermischte man das Gestein noch mit Kupfer und verarbeiteten es zu Messing. Die frühere Industrie in der Region gehe auf die Galmeivorkommen zurück, erläutert die Museumschefin. Sie kennt sich aus in der Welt der Metalle. Bevor sie in Kelmis tätig wurde, war sie im Industriemuseum von Lüttich beschäftigt. Dort ist Eisen und Stahl das vorherrschende Thema.
Wie eine Urkunde im Museum beweist, wurden der Stadt Aachen bereits 1423 die Rechte an der Galmei-Grube bestätigt. Im Laufe der Jahrhunderte wechselten die Besitzverhältnisse allerdings öfters. Denn das Galmeivorkommen am Altenberg versprach gute Einnahmen – durch Verpachtung der Mine oder durch den direkten Abbau und Verkauf. Der Bau der Lütticher Straße unter Kaiserin Maria Theresia war für den Erztransport in Richtung Maas oder Aachen ein großer Fortschritt. 1795 nahm Frankreich das Gebiet der Niederlande ein und damit auch den Altenberg und die Umgebung. Man installierte neue Verwaltungsstrukturen und förderte Bergbau, Handel und Produktion.
Mit den Franzosen begann die Blütezeit am Altenberg - dank dem Erfindergeist von Jean-Jacques Dony aus Lüttich. Er war ein genialer Tüftler. Napoleon übertrug ihm die alleinigen Rechte zur Ausbeutung der Mine am Altenberg. Im Gegenzug verpflichtete sich Dony, Öfen zu entwickeln, in denen Galmei zu metallischem Zink reduziert wurde. Das klappte, doch seine kostspieligen Experimente trieben ihn in die Pleite. Er musste verkaufen. Der Brüsseler Industrielle François-Dominique Mosselman gründete 1837 die Société des Mines et Fonderies de Zinc de la Vieille-Montagne mit Sitz in Angleur.
Diese Aktiengesellschaft der Zinkminen und Zinkhütten des Altenbergs, kurz Vieille Montagne, bot genügend Arbeit in der Grube, in der Aufbereitung und in der Zinkhütte. Wie es damals zuging, zeigen eindrucksvoll einige Gemälde, aber auch historische Fotos. Darauf sieht man, wie Männer und Frauen Gestein sortieren. In Wasserbecken wurden Blei, Zink, Eisen und taubes Gestein getrennt. Galmei wurde geröstet und zerkleinert. In den Reduktionsöfen gewann man schließlich das Zink. Das flüssige Rohzink gossen die Arbeiter zu Barren. In der Erzaufbereitung war es feucht, an den Öfen heiß. Die Arbeiter waren Staub und schwefelhaltigen Dämpfen ausgesetzt. Dennoch zog die Vieille Montagne viele Menschen nach Kelmis, denn Bezahlung und Versorgung waren gut. Was alles aus Zink hergestellt wurde, ist an einer Wand des Museums zu sehen - von der Badewanne bis zur Regenrinne.
Eindrucksvoll ist auch im Museum dokumentiert, wie sich die Bevölkerungszahl schlagartig erhöhte und sich ein neues Sozialgefüge ergab. Dazu trug auch bei, dass im Jahre 1816 auf dem Wiener Kongress keine Einigkeit erzielt werden konnte, wer das Land rund um den Altenberg besitzen sollte. Es entstand durch den Vertrag von Aachen eine Art Niemandsland: Neutral-Moresnet., ein Ländchen, 344 Hektar groß, mit rund 50 Häusern und 400 Einwohnern. Die nördliche Spitze war der Dreiländerpunkt bei Vaals, die südliche Seite die Lütticher Straße in Kelmis. Dieses Dreieck wurde von den Niederlanden und Preußen gemeinsam verwaltet. Nach dem 1. Weltkrieg fiel Neutral-Moresnet 1919 an Belgien.
Aus den anfangs 400 Bewohnern wurden im Laufe eines Jahrhunderts 4000. Wer hier geboren wurde oder schon vor 1816 dort lebte, erhielt die Nationalität „Neutral-Moresnet“, alle anderen behielten ihre Staatsangehörigkeit. Im Laufe der Jahre ließ sich in Kelmis ein buntes Völkergemisch nieder. Deutsche und Niederländer in der Mehrzahl, aber auch Franzosen, Belgier und andere Europäer zogen hierher. Neutral-Moresnet geriet schnell in den Ruf, Unterschlupf für zwielichtige Personen aller Art zu sein. Schmuggler fand hier ein Paradies.
Aber auch gesundes, geselliges Leben entwickelte sich, wie viele Dokumente im Museum zeigen. Es entstand ein reges Vereinsleben. Das Bergbauunternehmen unterstützte die Vereine. Dazu sorgte es sich um die soziale Versorgung. Es gab einen Soforthilfefond für kranke Arbeiter, eine Pensionskasse, außerdem ein Heim für alte Arbeiter und Waisen nahe Lüttich. Die Vieille Montagne finanzierte den Bau der Schulen, der Kirchen und Häuser für die Arbeiter. Sie bezahlte Priester, Lehrer und die Ärzte.
Wo es so viele Menschen mit unterschiedlichen Sprachen gab, blieb es nicht aus, dass man sich für die 1887 entwickelte Kunstsprache Esperanto interessierte. Es fanden sich 1900 im „Ländchen“ viele Anhänger. Neutral-Moresnet schien der ideale Ort zu sein, etwas Dauerhaftes zu schaffen: den ersten unabhängigen Esperantostaat der Welt. „Amikejo“ sollte er heißen – Ort der Freundschaft. Allerdings ist es dazu nie gekommen. Geblieben sind Bilder und Nachlässe im Museum.
Der Altenberg, mit dem alles begann, war schon 1884 ausgebeutet. Der Grubenbetrieb wurde eingestellt. In den anderen Erzminen rundherum, ging der Abbau jedoch weiter. Das Erz wurde nach Kelmis gebracht und dort verhüttet. 1910 errichtete die Gesellschaft Vieille Montagne das neue Direktionsgebäude an der Lütticher Straße. Von hier aus wurde der verbliebene Betrieb geregelt. 1950 stellte die Gesellschaft ihren Betrieb in Kelmis ein.
Das Direktionsgebäude ist übrig geblieben. Die Sanierung hat sich gelohnt. Das Museum lässt die Geschichte drumherum lebendig werden. Audioguides in vier Sprachen führen die Besucher spannend durch die Ausstellungsräume. Und wer will, kann auch einen Blick durch ein Fake-Fernglas werfen: Der Blick geht nicht in die Realität, sondern zeigt arbeitende Menschen an den ehemalig gegenüberliegenden Hüttengebäuden.
Am Rande
Das Museum „Vieille Montagne“ ist an der Lütticher Straße 280 in B-4720 Kelmis. Geöffnet ist es dienstags bis freitags jeweils von 10 bis 17 Uhr, samstags und Sonntags von 11.30 bis 17 Uhr. Der Eintritt kostet für Erwachsene sechs Euro, für Kinder zwischen sechs und 17 Jahren vier Euro und für Familien 16 Euro. Rentner, Behinderte und Studenten zahlen fünf Euro. Schulklassen haben ohne Führung freien Eintritt. Vorherige Reservierung ist notwendig.
Kombi-Ticket „auf ins Museum“
Das Museum macht auch mit beim Kombi-Tickets „auf ins Museum“, wo man für 25 € Eintritt in dieses Museum plus in 27 weitere Museen hat, evtl. erwähnenswert und wertvoller Service für die Leser, wenn nochmal über dieses Museum beziehungsweise andere am Kombi-Ticket teilnehmende Museen berichtet wird, Liste siehe hier: aufinsmuseum.eu
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