Esther Tulodetzki sitzt in ihrer Wohnküche, Kaffee und Zigarette in der Hand und schaut aus dem mit Eiskristallen überwucherten Fenster. In der Heizung gluckert das Wasser. „Krebskranke gelten nach zehn Jahren ohne Rückfall als geheilt.“ Sie rechnet. „Die letzte Bestrahlung war Ende 2005.“ Erneute Stille. „Ein paar Jahre muss ich also noch durchhalten.“
2005, das war das Jahr, in dem Tulodetzki die Diagnose bekam, dass der vorab als harmlos eingestufte Tumor in ihrem Gebärmutterhals gestreut habe. Folge: Chemotherapie, Bestrahlung, das ganze Programm. Als ihre Nichte Lucy zu Besuch kommt und ihr ein Bild überreicht, auf dem sie sich selbst mit ihrer Tante auf einer grünen Wiese gezeichnet hat, ist es mit Tulodetzkis Beherrschung vorbei.
„Ich habe direkt losgeheult“, erinnert sie sich. Die Kleine war natürlich total schockiert und wollte wissen, was los ist. Doch wie bringt man kleinen Kindern schlimme Nachrichten bei? – Indem man eine -Geschichte erzählt, eine Bildergeschichte.
Tulodetzki hat in Maastricht „Audiovisuelle Kommunikation“ studiert. Für ihr Buch „Das ist Krebs“ hat sie Fotografien und Zeichnungen collagenhaft kombiniert. Ihre Hauptfigur Mona ist eine etwa 30- bis 40-jährige Frau, schwarzweiß, mit schwarzen Lippen und halblangem Haar.
Monas Krankheitsverlauf ist eng an Tulodetzkis Erfahrung als Krebspatientin angelegt. Etwa dass sie trotz Chemo ihre Haare behalten hat. „In jedem Buch über Krebs siehst du kahle Köpfe“, sagt Tulodetzki. „Die Glatze ist das Erkennungsmerkmal des Krebskranken.“ Sie selbst musste einmal den Satz über sich ergehen lassen: „Du hast ja deine Haare noch, dann ist es nicht so schlimm.“ „Das wollte ich anders darstellen“, so die Autorin. Dazu passt auch, dass Mona am Ende der Geschichte wieder gesund wird. „Ich will den Kindern Mut machen – und mir selbst.“
In kindgerechtem Ton spricht das Buch die Kleinen direkt an. „Du weißt bestimmt, was eine Krankheit ist“, heißt es auf der ersten Seite. Und etwas später: „Krebs ist eine Krankheit, die etwas schlimmer und schwerer ist als andere Krankheiten.“
Tulodetzki erklärt, dass die Krankheit genauso heißt wie das Krabbeltier, das man vom Strand kennt. Außerdem beschreibt sie sehr anschaulich die Tumore, die aussehen wie „kleine Knoten, die man in Seile oder Schnürsenkel macht“. Am Ende der Behandlung kann Mona schon wieder Erdbeeren mit Schlagsahne essen – sie ist geheilt. Und doch bleibt ein kleiner Zweifel, denn sie hofft, „dass sie nie wieder so schwer krank wird.“
Und wie kommt Esther Tulodetzki damit zurecht, immer noch gefährdet zu sein? „Die Angst ist immer da. Und sie wird größer, je länger die Erkrankung her ist.“ Von der Chemotherapie und der Bestrahlung hat sie ein chronisches Darmleiden und eine Nervenstörung in den Gliedmaßen behalten. Bei jedem Arzttermin erwartet sie das Schlimmste. „Was mich wirklich ankotzt“, platzt es aus ihr heraus, „ist, dass ich das Vertrauen in meinen Körper verloren habe. Von der Krankheit habe ich nichts gemerkt, bis es fast zu spät war, so schnell war der Tumor gewachsen und hatte gestreut.“
Doch es gibt auch gute Zeiten. Etwa wenn sie mit ihrer Oma bis spät in die Nacht am Küchentisch sitzt. Oma, die auch mal Krebs hatte, damals in den 70ern, als die Medizin noch weniger Antworten auf die Krankheit hatte als heute. „Sie hat es geschafft, sie hat die Krankheit besiegt“, sagt Tulodetzki. Oma ist jetzt 85 Jahre alt. ///
6.3.
Lesung mit Esther Tulodetzki:
„Das ist Krebs“ + Gesprächsrunde mit der Kinder- und Jugendtherapeutin Elke Mainz
(Um Anmeldung wird gebeten.)
19.30 Uhr, Buchhandlung Backhaus am Abteitor
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