Von Lutz Bernhardt
Auch wenn er wenig lesefreundlich verfasst ist, dieser Masterplan öffnet den Blick auf eine bessere Zukunft. Besser als das, was diese Stadt zu erwarten hätte, wenn sie sich von den vorhersehbaren Veränderungen der kommenden Jahrzehnte einfach treiben ließe: vom Klimawandel, vom demographischen und technologischen Wandel, von wachsenden Verteilungskämpfen um endliche Ressourcen, vom harten Wettbewerb um Investitionen und Wirtschaftsansiedlungen.
Der Masterplan 2030 ist gedacht als Grundlage für einen neuen Flächennutzungsplan und im weiteren Sinne als Leitlinie für die soziale, ökologische und wirtschaftliche Entwicklung dieser Stadt. Aber was heißt das konkret?
Im Jahr 2100 herrscht hier andalusisches Klima
Wer heute geboren wird, dessen ganzes Leben wird geprägt sein von permanenter Anpassung an sich verändernde Umwelt-, Arbeits- und Wohnsituationen. Prognosen sagen, dass die Auswirkungen des Klimawandels ab 2030 unseren Alltag deutlich beeinflussen – soweit, dass in Aachen im Jahr 2100 mit andalusischen Wetterverhältnissen zu rechnen ist.
Die Sommer sind dann trocken und heiß, die Winter werden bestimmt durch bedrohlich starke Niederschläge. In der Stadt soll der Bevölkerungsanteil alter Menschen bereits in zwanzig Jahren auf 25 Prozent gestiegen sein. Ohne weitere Zuwanderung leben dann insgesamt schon 17.000 Menschen weniger im Stadtgebiet, Tendenz eher weiter sinkend. Ferner gilt auch für Aachen, was bundesweit als Trend in der Gesellschaft gesehen wird: eine zunehmende Zahl gering qualifizierter Menschen, mehr Arme, eine breiteres Nebeneinander unterschiedlicher Kulturen.
Eine Stadtgesellschaft muss sich auf diese Entwicklungen vorbereiten. Und die Stadt Aachen hatte zuletzt erkannt, dass sie schlecht vorbereitet ist. „Der gültige Flächennutzungsplan stammt aus einer Zeit, in der die alles bestimmende Determinante das Wirtschaftswachstum war“, sagt Ajo Hinzen vom Büro für Kommunal- und Regionalplanung Aachen, kurz BKR. „Der Plan wurde 1980 verabschiedet und seitdem rund 70 Mal geändert. Er trägt den heutigen und künftigen Rahmenbedingungen für die Stadtentwicklung nicht mehr Rechnung.“
Das BKR und Professor Klaus Selle vom Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung erhielten deswegen den Auftrag, in Kooperation mit den Ratsfraktionen, der Stadt, den Hochschulen und den Bürgern den Masterplan Aachen 2030 als Grundlage für den neuen Flächennutzungsplan zu erarbeiten.
Auf 84 Seiten und einem Kartenwerk formuliert der Masterplan aus welcher Position Aachen nach Meinung der Experten startet, benennt elf zentrale Leitlinien für die Stadtentwicklung, daraus abgeleitet die zehn Handlungsfelder und beschreibt am Ende einige konkrete Projekte, die bereits diskutiert oder schon umgesetzt werden.
Bei den Leitlinien wundert es nicht, dass die Fortentwicklung der „Wissenschafts- und Technologiestadt“ an erster Stelle steht. Hinzen: „Die Hochschulen und vor allem der RWTH Campus bilden den zentralen Motor für den Standort.“ Es folgen die Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen, die Modernisierung der Infrastruktur, die dauerhafte Bindung der Menschen an die Stadt sowie die Vorbereitung des Wohnungsmarktes auf den demografischen Wandel. Die Lebensqualität in den Wohnvierteln gewährleisten, Randgruppen integrieren, das historische Erbe pflegen, Natur und Landschaft bewahren. Und Aachen soll Modellstadt für die Anpassung an den Klimawandel werden und sich euregional vorbildlich vernetzen.
Wie erhält man städtische Identität?
Hinter diesen abstrakten Leitlinien verbergen sich am Ende sehr konkrete Ideen und Fragen. Etwa danach, wie in Zukunft ein multikulturelles und altersgemischtes Wohnen aussehen soll. Werden die Bäche in der Innenstadt freigelegt, die Quellen sichtbar? Wie wird das Bahnhofsviertel zum repräsentativen Eingangsbereich der Stadt? Wie schafft man schattige, grüne Flächen? Bis hin zu: Wie erhält man den identitätsstiftenden Charakter der Häuserzeilen, wenn man sich baulich durch Wärmedämmungen an den Klimawandel anpassen muss?
Das Zustandekommen des Masterplans zeigt, dass es in Politik und Verwaltung einen Konsens gibt: Aachen braucht für die Stadtentwicklung einen neuen Leitfaden. Aber ein Plan ist erstmal nur ein Plan. Ajo Hinzen: „Ich wünsche den Akteuren den Mut und die Weitsicht, sich daran auch bei den wichtigen Entscheidungen zu orientieren.“ ///
Die zehn Handlungsfelder des Masterplans stellt der Klenkes in den folgenden Ausgaben in einer Serie vor.
(Foto: Stadt Aachen)
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