Von Nathalie Wimmer
Der Wind pfeift eisig über das Brachland. Am Ende des Schotterweges kommt das Camp der Aktivisten ins Blickfeld – Zelte, Baracken und Wagen. In der Mitte eine Flagge mit anarchistischem Symbol. Die Bewohner sind gegen Mittag noch schlaftrunken, begeben sich langsam zum Tisch im Freien. „War ein langer Abend gestern. Wir haben viel diskutiert“, erklärt der 24-jährige Thomas Wahlmann, genannt Clumsy. Er führt seit Jahren das Leben eines Berufsrevoluzzers.
„Viele halten die Aktivisten für Chaoten oder Faulenzer. Das stimmt so aber nicht. Das Leben da draußen und die Organisation der Aktionen erfordert viel strategisches Denken und eine Menge Idealismus“, verteidigt Andreas Büttgen die Umweltrebellen, die aus allen Teilen Europas stammen. Er ist Mitbegründer der Initiative „Buirer für Buir“. Der Verein unterstützt die Aktivisten. Auch Andreas Büttgen sieht den immer näher rückenden Tagebau kritisch. „RWE will den Kohleabbau über 20 Jahre lang direkt vor unserer Haustüre betreiben. Es entsteht dadurch ein Loch von den doppelten Ausmaßen des Kölner Doms und der alte Wald wird abgeholzt. Auch unzählige Bergschäden wie das Nachgeben des Bodens oder Abrutschen von Böschungen bleiben wahrscheinlich nicht aus. In so einer Umgebung wollen wir nicht leben. Das werden wir nicht zulassen“, wettert er und schlägt damit in dieselbe Kerbe wie die Aktivisten, die sich „gegen den Raubbau an der Natur“ wehren.
Zu ihnen an den Waldrand will Andreas Büttgen jedoch nicht ziehen. Der aktive Staatsungehorsam ist nun mal nichts für jedermann. Denn die Aktionen, die Clumsy und seine Mitstreiter aushecken und durchführen, sind oftmals illegal. Erst kürzlich rückte die Polizei an, weil sie den RWE-eigenen Forst besetzt hatten. Der Energiekonzern hatte als Besitzer des Waldes die Ordnungshüter eingeschaltet, da Plattformen in den Bäumen angebracht und offene Feuer entzündet wurden.
Waldverbot wegen Illegaler Aktionen
Clumsy war einer der Kletterer. In luftiger Höhe hatte er sich an einen Baum geschnallt. Der Polizei war es nicht gelungen, ihn herunterzuholen. Stattdessen setzte sie auf Belagerungstaktik. „Die hätten mich da oben sitzen gelassen. Also habe ich verhandelt. Ich habe erklärt, ich würde herunterkommen, wenn wir dann unbehelligt gehen dürfen“, blickt er zurück. Die Polizei hat ihm nun ein „Waldverbot“ erteilt. Wird er wieder im Gehölz erwischt, könnte das als Hausfriedensbruch geahndet werden. Der junge Österreicher will aber mit einem Anwalt dagegen vorgehen. Man dürfe ihm den Zugang nicht verwehren, behauptet er und zitiert aus der Bundeswaldgesetzgebung. „Das bringt das Aktivistenleben eben mit sich: Ich kenne auch so manchen Paragrafen aus dem Strafgesetzbuch auswendig“, gesteht er.
Obschon er bereits des Öfteren den Gerichtssaal von innen gesehen hat, ist er bisher noch nicht vorbestraft. Die Angst vor einer Verurteilung hält ihn jedenfalls nicht davon ab, weiter zu kämpfen. „Der rheinische Braunkohleabbau ist Europas Klimakiller Nummer eins. Die Klimakatastrophe kommt mit großen Schritten näher. Ich möchte ganz einfach Verantwortung übernehmen für die kommenden Generationen. Es geht nicht an, dass wir ihnen einen verwüsteten Planeten hinterlassen. Es gibt so vieles auf der Erde, das falsch läuft. Ich möchte einen kleinen Teil dazu beitragen, dass das endlich aufhört. Daher setze ich mich hier ein. Der Wald soll bleiben“, so sein flammender Appell. RWE-Sprecher Lothar Lambertz kann diese inhaltliche Haltung der Aktivisten nicht nachvollziehen. Braunkohle sichere immerhin 25 Prozent der deutschen Stromerzeugung. Es werde in den letzten Jahren außerdem viel getan, um den Abbau umweltfreundlicher zu gestalten und auch Rekultivierungen würden vorgenommen.
Das Harte Leben im Camp
Clumsy winkt ab. Er hält nichts von der Firmenphilosophie. Im Manifest der Besetzer heißt es: „Wenn RWE diesen Wald zerstört, um Braunkohle abzubauen und zu verbrennen, und damit sowohl die regionalen Lebensgrundlagen zerstört als auch das Weltklima und die Gesundheit der Menschen, dann ist das zwar rechtsstaatlich legal. Trotzdem können wir, wie wir es auch drehen und wenden, keine Legitimität dafür erkennen. Wenn wir diesen Wald besetzen, ist das zwar nach den herrschenden Gesetzen nicht legal. Ihre Legitimität bezieht die Aktion aber daraus, dass sie versucht, der Wald- und Weltzerstörung durch RWE etwas entgegenzusetzen.“ In diesem Sinne setzt Clumsy auf „direkte Aktionen“ wie seine Baumbesteigungen, die in unregelmäßigen Zeitabständen vom Basiscamp auf einer Privatwiese am Waldrand aus durchgeführt werden.
Auch in Zukunft soll es diese und ähnliche Unternehmungen weiterhin geben. „Auf diesem Weg können wir etwas verändern. Man sieht sofort einen Erfolg. Die Aktionen erregen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien. Das ist besser als mit unserem Anliegen über tausend Instanzen zu gehen, wo schließlich alles versickert“, ist er überzeugt. Im Kampf gegen die globale Ausbeutung ist er daher bereit, eine Menge Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen. Das Leben im Camp wirkt auf den ersten Blick ziemlich chillig. Aber der Schein trügt. Einen minutiös geplanten Tagesablauf mit genauen Zeiten, an die es sich zu halten gilt, gibt es im Camp zwar nicht. Als Faulenzer will sich der 24-Jährige aber nicht beschimpfen lassen. „Es gibt eigentlich immer etwas zu tun“, erklärt er.
Alleine das Lager wintertauglich zu machen, war zeit- und arbeitsintensiv. Hütten und Verschläge wurden gezimmert, um dem Schneefall und der Kälte zu trotzen. Die Sanitäranlagen, die diesen Namen eigentlich nicht verdienen, sind ziemlich rustikal. Der Donnerbalken befindet sich, genau wie die Außendusche – bestehend aus einer Plane zum Sichtschutz und einem Wasserbeutel, im Wald. Die Nahrungsbeschaffung ist aufwendig. Regelmäßig werden Supermarktcontainer nach Lebensmitteln durchkämmt. Wälder und Wiesen werden auf der Suche nach Kräutern durchstreift. Im Herbst gab es tagelang eigens gesammelte Pilze. Sehr abwechslungsreich fallen die veganen Mahlzeiten also nicht aus. Spenden von Gemüsehändlern, Bäckern oder anderen Wohltätern peppen die Speisekarte zumindest ein wenig auf. Auch die Wasservorräte müssen in großen Kanistern per Fahrrad aus dem Dorf herangeschleppt werden. All das läuft aber nur nebenher, denn die Hauptbeschäftigung der Aktivisten besteht darin, ihre Aktionen vorzubereiten. Im April nahm die Planung der Jubiläumsfeier anlässlich der einjährigen Besetzung viel Zeit in Anspruch. Am Wochenende vom 15. April fanden Konzerte und Veranstaltungen im Camp statt.
Zum Glück ist mittlerweile das Wetter etwas besser geworden. Der kalte Winter hat den Aktivisten zugesetzt. Dennoch ist Clumsy von der Sache nicht abzubringen. Er ist Revoluzzer aus Überzeugung und Leidenschaft. Einen anderen „Job“ könnte er sich gar nicht vorstellen: „Ich setze mich lieber weitere zehn Jahre für etwas ein, wovon ich überzeugt bin, als 40 Jahre an einem Schreibtisch zu versauern.“ ///
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