Von Sebastian Dreher
Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Frau mit der großen Sonnenbrille und dem bitteren Zug um den Mund, wie sie sich in einer öffentlichen Toilette umzieht, mit einer Perücke ihr Äußeres verändert. Warum tut sie das? Ist sie eine Kriminelle oder wird sie von Kriminellen verfolgt? Ist sie Opfer oder Täter?
Wäre nicht diese melancholische Klaviermusik, so könnte man am Anfang des Trailers zu dem Kinofilm „Zwei Leben“ denken, da plane jemand ein Verbrechen, etwa ein Attentat. Doch diese niedere Absicht nimmt man der Schauspielerin Juliane Köhler nicht ab. Aber trotzdem, irgend etwas stimmt nicht mit dieser Frau …
Dass die Unterteilung in Gut und Böse, Opfer und Täter die Wurzel vieler Übel ist, war schon Thema in Georg Maas’ Dokumentarfilm über den britischen Musiker Peter Gabriel. Der hat es zum Ziel seines künstlerischen Schaffens gemacht, die Abgrenzung von „Us and them“, von uns und den anderen, aufzuheben. Filmemacher Georg Maas hat die Problematik des schnell über Menschen gefällten Urteils in einem Interview so beschrieben: „In dem Moment, wo wir anfangen, wertende Unterscheidungen zu machen, schaffen wir die Basis, mit der man Kriege und bewaffnete Konflikte überhaupt beginnen kann.“
Meinungen revidieren
Der gebürtige Aachener hat seinen Arthaus-Film „Zwei Leben“ so konstruiert, dass der Zuschauer seine Meinung, die er sich über die Protagonisten gebildet hat, immer wieder überdenken und revidieren muss – und auch merkt, dass er mit seinem vorschnellen Urteil falsch lag. Sukzessive kommen im Laufe der Handlung immer mehr Puzzleteile zum Vorschein, die das Geschehen in eine neue Richtung lenken. Diese Komplexität scheint dem Film nicht zu schaden, im Gegenteil. Auf den Festivals in den USA, Australien und Europa, wo der Film bereits gezeigt wurde, waren die Leute fast ausschließlich begeistert von Handlung, Spannung und schauspielerischer Leistung.
„Diese Reaktionen haben uns davon überzeugt, ,Zwei Leben‘ als deutschen Beitrag für die nächste Oscarverleihung einzureichen“, sagt Dieter Zeppenfeld von der Aachener Produktionsfirma Zinnober Film, mit der Maas bereits mehrere Filme verwirklicht hat – auch die Doku über Peter Gabriel.
Seit mittlerweile zehn Jahren arbeitet Maas schon an dem Stoff. Zum einen, weil die Förderung lange nicht stand, zum anderen, weil das Thema „Lebensborn“ hochkomplex ist. Mit diesem der so genannten „Rassenhygiene“ unterworfenen Programm haben die Nationalsozialisten versucht, die Geburtenrate „arischer“ Kinder zu steigern. Hitler sah bekanntermaßen vor allem bei den nordischen Völkern die geeigneten Gene für seinen „Herrenmenschen“ – ein Grund dafür, dass auch in Norwegen „Lebensborn“-Heime gegründet wurden.
Deshalb musste auch „Zwei Leben“ in Norwegen spielen. Weil in dem skandinavischen Land jedoch grundsätzlich nur Originalfilme mit Untertiteln geguckt werden, mussten die beiden deutschen Schauspieler (neben Juliane Köhler noch Ken Duken) erst mal Norwegisch lernen. „Den beiden musste man abkaufen können, dass sie lange in Norwegen gelebt haben“, sagt Maas. „Bei Juliane hat das ungefähr ein Jahr gedauert – und sie hat es oft verflucht.“
Star der 60er
Von dem Vorschlag, Liv Ullmann die Rolle der Ase Evensen anzubieten, war Maas sofort begeistert – obwohl er die in den 60er Jahren vor allem durch die Filme von Ingmar Bergman bekannt gewordene Aktrice immer für eine Schwedin statt für eine Norwegerin hielt. „Die Figur, die Liv spielen sollte, war im ursprünglichen Drehbuch deutlich älter und schon sehr gebrechlich. So etwas wollte sie nicht spielen. Da haben wir das Drehbuch noch einmal umgeschrieben, so dass Liv in ihrem Alter spielen konnte“.
Bevor „Zwei Leben“ deutscher Oscar-Beitrag werden kann – die Entscheidung fällt im Januar –, müssen Maas und Zeppenfeld in den USA allerdings noch eine große PR-Maschine anwerfen – ohne Werbung läuft dort nichts. „Von den rund 70 Vorschlägen aus verschiedenen Ländern gehen letztlich nur fünf ins Rennen“, weiß Maas. Von „seinem“ Sieg will er allerdings nichts hören. „Sollte ,Zwei Leben‘ den Oscar gewinnen, ist das ein Triumph für das ganze Team.“ ///
„Zwei Leben“ läuft seit dem 19.9. in den Kinos.
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