Von Lutz Bernhardt
„Es darf keine Denkverbote geben.“ So zitierten die Aachener Nachrichten Grünen-Ratsherr Hermann-Josef Pilgram in einem Artikel, in dem er eine Zusammenlegung von Suermondt-Ludwig-Museum und Ludwig Forum vorschlug. Eine Kommission müsse her, die mal grundlegend klärt, wie es mit allen städtischen Häusern weitergehen soll. Und überhaupt … Finanzierung, Gebäude, Marketing, ein Gesamtkonzept muss es sein. Insbesondere Suermondt und LuFo hätten laut Pilgram „sowieso schon ein Problem mit den Besucherzahlen und mit der Akzeptanz in der Bevölkerung. Beides kriselt.“
Die Fakten sagen etwas anderes
Wenn jemand in unserer Gesellschaft sagt, es dürfe keine Denkverbote geben, sieht er sich in der Reihe der Mutigen und Aufrechten stehen. Dabei riskiert er beim Aussprechen seiner Wahrheiten in der Regel nichts, vor allem keine Strafe. Er kommt nicht ins Gefängnis, seine Kinder werden ihm nicht weggenommen, er wird nicht erschossen. Sowas passiert in manchen Ländern, wenn man Denkverbote missachtet. Bei uns nicht. Bei uns möchte jemand, der von Denkverboten spricht, anderen einreden, dass er sagt, was viele denken. In der Manipulationstheorie heißt dieser Mechanismus „Selbstaufwertung“. Nicht, dass es um nichts geht: Denkverbote, zu wenig Besucher, keine Akzeptanz, Krise!
Die Fakten zeigen zunächst mal, dass das Kriseln hier ein dehnbarer Begriff ist. Wie so oft, wenn Politiker damit durch den Blätterwald ziehen. Wenn die Krise darin bestünde, dass unsere Museen zu wenig Besucher anziehen, müsste man mal einen Maßstab anlegen. Der Maßstab könnte die Einwohnerzahl sein sowie die Struktur des kulturellen Angebots. Und natürlich die Museumsbesuche – die werden in Deutschland vom Institut für Museumsforschung erfasst.
Also jetzt ein paar Zahlen. Vergleichbar wäre zum Beispiel Freiburg mit knapp 220.000 Einwohnern und im vergangenen Jahr 37.189 Besuchen des Museums für Neue Kunst. Oder Oberhausen, 210.000 Einwohner und 48.580 Besuche in der Ludwig Galerie Schloß Oberhausen. Kiel hat rund 240.000 Einwohner und verzeichnete in der Kunsthalle 44.004 Besuche. Und Aachen? Auf unsere exakt 240.086 Einwohner kamen im Jahr 2012 34.700 Besuche im LuFo und 23.031 Besuche im Suermondt-Ludwig.
Aachen steht doch gar nicht so schlecht da, oder? Wie hoch hängt die Messlatte? Welche großen Träume sollen denn erfüllt werden?
Was sagen denn Besuchszahlen?
Aber es gibt noch ein viel größeres Missverständnis. Mit den Besuchszahlen der Aachener Museen verknüpfen die Grünen deren kulturelle Relevanz. Eine olle Kamelle, die auch durchs ständige Wiederholen nicht richtiger wird. So lässt sich kulturelle Wertschöpfung nicht rechnen. Werte, die von Massen umjubelt wurden, taugten in der Geschichte selten für die Charakterbildung des Einzelnen. Wie auch, es kann ja immer nur ein möglichst kleiner, ein niederer, gemeinsamer Nenner gefunden werden. Anders aufgezäumt: Seit wann verraten Fernseh-Quoten etwas über die kulturelle Qualität der Sendungen?
Relevanz hat sicherlich etwas mit Reichweite zu tun. Aber bislang gab es den gesellschaftlichen Konsens darüber, dass der Kultur eigene Werte zugestanden werden, die vom allgemeinen Bildungsbegriff bis zu philosophischen Fragen der Menschwerdung reichen, von der Basis unseres Demokratieverständnisses bis zum täglichen Abrackern in der Frage: Wie wollen wir leben. Dieser Konsens ordnete die Kultur den Versorgungsleistungen des Staates zu, mit einer Infrastruktur und einer Idee von Mindeststandards. Sind wir schon mittendrin, an diesem Prinzip zu kratzen?
Richtig ist: Die kulturellen Institutionen hängen in vielerlei Hinsicht in der Luft. Ihre historische Verankerung in der Bürgergesellschaft löst sich mehr und mehr – sowie sich das klassische Bürgertum selbst in einem Auflösungsprozess befindet. Dadurch fehlt zunehmend eine kulturstabilisierende Schicht, eine gesellschaftliche Gruppe, die sich für die Unantastbarkeit der Künste starkmacht und ihnen in den Verteilungskämpfen Rückendeckung gibt. Kulturpolitiker sollten Fürsprecher der kulturellen Sache sein und sich nicht in ökonomischen Optimierungsideen und Fusionsgedanken verlieren.
Wenn sich das nämlich durchsetzt, geht es nur noch um Stellvertreterdebatten; dann befindet sich der kulturelle Diskurs in einer nicht zu stoppenden Abwärtsspirale. ///
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