Von Marcus Erberich
„Gay for a Day“, homosexuell für einen Tag. Unter diesem Motto ersetzten indische Facebook-User ihre Profilbilder durch Fotos, auf denen sie eine Person gleichen Geschlechts küssen – zum Protest gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben.
Als in Marokko ein jugendliches Pärchen verhaftet wurde, weil es sich in der Öffentlichkeit geküsst und dabei fotografiert hatte, sammelte die Facebook-Gruppe „Ein Kuss ist kein Verbrechen!“ innerhalb weniger Stunden 1.500 „Likes“.
Und auch die massenhafte Protest-Bewegung in Brasilien während des Confederations-Cups im vergangenen Jahr navigierte sich hauptsächlich über soziale Medien – Facebook und der Handy-Messenger WhatsApp gehörten zu den wichtigsten Werkzeugen der Aufständischen. Gleiches gilt für den Widerstand junger Türken gegen Regierungschef Erdogan und die Revolutionen in der arabischen Welt.
8.000 Likes in einer Nacht
Auch in Aachen macht sich vor allem unter der jungen Bevölkerung der Unmut über Streit-Themen bei Facebook bemerkbar. Aktuell ist dieses Phänomen messbar an der Reaktion auf die Meldung, dass die Bundesimmobilienagentur (BIMA) die Musikbunker in der Goffart- und Junkerstraße verkaufen will.
Noch am Tag der Veröffentlichung der Nachricht gründete die Studentin Lisa Mevissen die Facebook-Gruppe „Musikbunker in Junkerstraße und Goffartstraße müssen erhalten bleiben“, die Reaktion war unerwartet riesig: Innerhalb eines Tages solidarisierten sich 8.000 Menschen, aktuell sind es schon gut 14.900.
Auf Anfrage des KLENKES sagt sie: „Mit ein paar hundert Klicks habe ich vielleicht gerechnet, aber nicht mit so viel Resonanz. Es ist toll, dass so viele Leute zeigen, wie wichtig ihnen die Musikbunker in Aachen sind.“
Ihr ist aber auch bewusst, dass ein „Like“ noch nicht bedeutet, dass auch an einer „echten“ Demonstration derart viele Menschen teilnehmen würden: „Ich hoffe, dass sich dieses Engagement – sollte es darauf ankommen – auch im Real Life wiederfinden lässt.“
Die Facebook-Gruppe wird mittlerweile nicht mehr von ihr, sondern ausschließlich durch den Musikbunker e.V. administriert.
Der virtuelle Knall innerhalb der sozialen Plattform hat bisher bewirkt, dass ein Spendenkonto zugunsten des Musikbunker e.V. eingerichtet und eine Online-Petition gestartet wurde. Zudem haben sich einige User dazu aufgerafft, Oberbürgermeister Marcel Philipp per E-Mail über ihre Ängste zu informieren und Musiker wie Jürgen Zeltinger und der Rapper Alligatoah haben Video-Botschaften für den Erhalt der Bunker aufgenommen.
Die große virale Wirkung erklärt Lisa Mevissen anhand des Zeitpunkts der Meldung: „Ich denke, der Aufschrei um die Musikbunker war so groß, weil er inmitten einer Entwicklung stattgefunden hat, die man ernst nehmen muss. Man denke nur an den Malteserkeller, das Aoxomoxoa oder den Jakobshof …“
Clubsterben in Aachen
Die Befürchtung vieler, vor allem junger Bürger: Wenn noch mehr Clubs in Aachen schließen, stirbt die freie Kulturszene aus. Malteserkeller, Königkeller, Fifty Five, Stairs, Hauptquartier, Jakobshof und Aoxomoxoa hat es schon erwischt oder müssen in den nächsten Monaten dicht machen.
Die Facebook-Gruppe „Macht mal Lärm in dieser Stadt – für den Erhalt des freien Aachener Kultur-Betriebs“ hat sich gegründet, um gegen das Clubsterben vorzugehen – am 24. Mai soll es eine große Demonstration geben. Bisher haben rund 3.000 User ihre Teilnahme angekündigt.
Party-Verbot ist ein “Tiefschlag“
Dass der Musikbunker im Frankenberger Viertel bald der Abrissbirne zum Opfer fällt, gilt mittlerweile als unwahrscheinlich. Beim Bürgerforum am 21. Januar im Ratssaal des Aachener Rathauses stand das Thema auf der Agenda – 200 Menschen waren gekommen, überwiegend junge.
Politik und Oberbürgermeister Marcel Philipp signalisierten Einigkeit darüber, dass man den Musikbunker als kulturelle Institution erhalten müsse. Lars Templin, Geschäftsführer des Vereins Musikbunker e.V., zeigte sich hinsichtlich eines Kaufs durch den Verein selbst zuversichtlich, auch die Stadt hat mittlerweile signalisiert, Gespräche mit der BIMA führen zu wollen.
Mitten hinein in diesen Optimismus schlug jedoch eine aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichts ein wie eine Bombe: Der Musikbunker darf ab sofort bis auf Weiteres keine Partys mehr veranstalten. Dieses Urteil hatte ein Anwohner-Ehepaar durch eine Klage im Juni 2013 bewirkt.
Gegenüber den „Aachener Nachrichten“ sprach Templin von einem „Tiefschlag“. Sollte das Urteil Bestand haben, könnte es dem Musikbunker am Ende Kopf und Kragen kosten.
Wie viel wiegt ein „Like“?
Auffällig bei all dem ist, dass das Geschehen in den Facebook-Gruppen – die für den Erhalt des Musikbunkers und die gegen das Aussterben der freien Kultur – von allen Aachener Medien bei der Berichterstattung als Gradmesser für die Relevanz des Themas gewertet wird.
Die Gründer der Gruppen werden interviewt und nach Einschätzungen der Problemlage befragt, kurz: Sie werden zu Protagonisten. Wie viel die Währung „Like“ im echten Leben wert ist, bleibt indes abzuwarten.
Als im letzten Jahr die Protestwelle durch Brasilien schwappte, verabredeten sich in einer Facebook-Gruppe gut 12.000 Menschen zu einer Demonstration, Treffpunkt Praça do Ciclista in Sao Paulo, 17 Uhr. Mehrere TV-Sender und Zeitungs-Journalisten wollten dabei sein, wenn sich die Meute in Bewegung setzt – darunter auch ein Redakteur der „TAZ“. Und die Anzahl derer, die nach ihrem „Like“ auch tatsächlich auf die Straße gingen? 35. \
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