Von Christina Rinkens
In Deutschland kann Arbeit Spaß machen? Und die Frau ist nicht verpflichtet, abends mit dem fertigen Essen auf den Mann zu warten? Dinge, die uns selbstverständlich erscheinen. Für die jungen Flüchtlinge, die hier ankommen, sind sie neu. „Kann man minderjährigen Flüchtlingen, die ohne Eltern und Bezugspersonen hierher gekommen sind, eine Gebrauchsanweisung für den Alltag in Deutschland an die Hand geben?“, fragten sich die Filmemacher Miriam Pucitta, selbst Kind italienischer Gastarbeiter, und Michael Chauvistré aus Aachen bei der Planung des ersten Films. Sie befanden: „Ja, kann man.“ Zumindest kann man ihren Alltag dokumentieren und ihrer Geschichte ein Gesicht und einen Namen geben.
So lernte man im ersten Film die Jugendlichen Kemoko, Mamin, Nardos, Tanzid und Youssef kennen, die damals erst seit kurzem in Aachen lebten. Drehbuch, Schnitt und Ton, an allen Produktionsschritten wurden die Jugendlichen beteiligt. Sie waren es dann auch, die auf die Idee für einen zweiten Film kamen. Sie wollten mehr erzählen, am liebsten sofort weiterdrehen. So viel Erzählenswertes passierte in ihrem neuen Leben. War Aachen für viele von ihnen anfangs nur eine Zwischen oder Endstation, so wurde es für sie immer mehr zum Ziel ihrer langen Reise. Zu ihrem neuen Zuhause.
Film ab
Die Hälfte der Protagonisten aus dem ersten Teil ist auch bei „Eine Banane für Mathe“ wieder dabei. Ihnen stellt sich nach dem ersten Ankommen die Aufgabe, einen Platz in der Schule, in der Berufsausbildung, in privaten Beziehungen zu finden. Und in der Gesellschaft. Ihre Drehbuch- und Schnitterfahrungen aus dem ersten Teil geben sie gerne weiter an die „neuen Flüchtlinge“ und die zwei Jugendlichen aus Aachen, die auch im Kinder-, Jugend- und Familienzentrum Maria im Tann in Preuswald wohnen. Denn nur 22 der 87 stationären Plätzen sind für Flüchtlinge reserviert. Die Aachener Jugendlichen zeigen, dass sie vor genau den selben Herausforderungen stehen und dass es keine Unterschiede zu den Flüchtlingen gibt. Bis auf einen Einzigen: Die Sprache macht ihnen weniger Mühe. Und sie verdeutlichen, wie die vielen anderen Protagonisten im Film, seien es Lehrer oder Betreuer, wie selbstverständlich der Umgang miteinander sein kann.
Die meisten der Situationen im Film sind nachgestellt, aber sie alle beruhen auf echten Erfahrungen der Flüchtlinge. Anfangs stand für den zweiten Film nur fest, dass die Geschichten weitererzählt und die Ausbildungen der jungen Menschen eine zentrale Rolle spielen sollten. In gemeinsamen Gesprächsrunden kamen immer mehr Anekdoten und Erfahrungen zusammen, auf deren Grundlage sich der Film aufbauen ließ. Es sind Mut machende Geschichten der Protagonisten.
So sieht’s aus
Gleich zu Beginn die von Mamin aus Bangladesch, der von Oberbürgermeister Marcel Philipp für seine besondere kognitive Leistung geehrt wird. Er ist der Beste seiner Klasse – mit einem Notendurchschnitt von 1,5. Und es sind normale Alltagsprobleme, mit denen sich die jungen Männer und Frauen inzwischen befassen können. Der Tunesier Tanzid zum Beispiel kommt morgens nur schlecht aus dem Bett, dann wollen die Haare nicht sitzen, das Frühstück verpasst er deswegen fast. Probleme, die es überall gibt. Und die auch irgendwie zeigen, was es heißt, anzukommen, sich zu Haus zu fühlen.
Im Fernseher sieht Youssef die Probleme in seiner Heimat Palästina, die er mit 16 verlassen hat, um nicht gegen Israel in den Krieg ziehen zu müssen, wie man im ersten Film erfuhr. Und doch heißt es weitermachen für ihn, fortfahren mit dem neuen Alltag. Dieser besteht inzwischen nicht mehr nur aus Schule und dem Leben in Maria im Tann. Er hat eine Ausbildung zum Elektroniker begonnen, wohnt jetzt alleine. Am Anfang war es schwierig im neuen Job. Aber das sei es doch für jeden anfangs, sagt er. Sein Chef bezeichnet ihn als fabelhaften Auszubildenden, der seine Aufgaben erkennt, bevor man sie ihm gibt. „Ich muss meine Chance nutzen, Interesse zeigen“, sagt Youssef dazu nur. Und freut sich seinerseits gelernt zu haben, dass Arbeit Spaß machen kann. Das wäre in -einer Heimat nicht so. Und dass alle Danke und Bitte sagen, das begeistert ihn auch.
Deutsch-fleißig
Wie Youssef hat auch der junge Kemoko aus Mali eine Ausbildung angefangen. Er träumt jetzt davon, Programmierer zu werden. „Alles ist möglich mit der Zeit“, man muss sich integrieren und anpassen. Weiterkämpfen und mutig sein. Anfangs konnte er sich mit seinen Kollegen nur auf Französisch verständigen. „Fast deutsch fleißig“, nennt ihn sein Chef.
In den ersten Wochen saß Kemoko in den Mittagspausen immer auf dem Sofa im Büro. Und hat all die Wörter nachgeschlagen, die er im Laufe des Tages nicht verstanden hatte. Es ist dieser Fleiß, diese Hartnäckigkeit, die die Protagonisten im Film zeigen, die verdeutlicht, was die sich ihnen bietende Chance für sie bedeutet. Wie gerne sie diese nutzen möchten. Denn das sie diese bekommen, ist trotz ihrer Ankunft in Aachen nicht selbstverständlich.
Neue Hürden
Mamin aus Bangladesch zum Beispiel bleibt sie verwehrt. Mit seinem guten Zeugnis hat er sich für Ausbildungen beworben. Sowohl die RWTH Aachen, als auch die Deutsche Bahn hätten ihn nach dem Vorstellungsgespräch gerne angestellt. Doch Mamin bekommt keine Arbeitserlaubnis. Ohne die ist eine Anstellung unmöglich. Und ohne Arbeitsvertrag ist wiederum eine Arbeitserlaubnis nicht möglich. Zurecht fragt er sich, was er denn machen soll. Eine der wohl größte Chance seines jungen Lebens darf er nicht nutzen.
Eine Sicherheit gibt es für keinen von ihnen. Auch Youssef ist nur „geduldet“, mit der Ausbildung erhöht sich seine Chance, in Deutschland bleiben zu dürfen. Aber eine Gewissheit gibt es nicht. Eine Tatsache, die erst klar macht, in welcher Unsicherheit die jungen Menschen leben. Obwohl sie gute Arbeit leisten, sich integrieren, gibt es nicht mehr, dass sie für die eigene Sicherheit tun können.
Angekommen
Dass nicht alles von Anfang an klappen kann, ist verständlich. Sprachkenntnisse, Eingewöhnung und Zurechtfinden – das alles braucht seine Zeit. Solange man sich auf Augenhöhe begegnet, darf man auch über Fehler lachen. So wie Nardos und Youssef nachdem die junge Frau aus Äthiopien klargestellt hat: „ Wir sind hier in Deutschland, Du kannst dir selber was kochen.“
Es gibt so vieles, das die jungen Flüchtlinge erst in Aachen lernen konnten und noch lernen müssen. Was das alles ist, wird einem erst durch den Film verdeutlicht. Doch er zeigt auch auf unaufdringliche Art, wie sehr die Jugendlichen sich bemühen anzukommen, sich zu integrieren. Dass sie dabei Hilfe brauchen, ist selbstverständlich. Dass sie sie bekommen, sollte es auch sein.\
Der Film
Der Film „Eine Banane für Mathe – angekommen in Deutschland“ ist ein „Movies in Motion“-Projekt des Bundesverbandes Jugend und Film e.V. (BJF) im Rahmen von „Kultur macht stark“. Beantragt wurde das Projekt vom Internationalen Zeitungs-museum und es entstand in Kooperation mit dem Zentrum für Kinder-, Jugend-& Familienhilfe Maria im Tann und der Nadelfabrik Fachbereich Soziales und Integration. Es wurde gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Die Umsetzung
Bei der Ent-wicklung, den Dreharbeiten und den Schnittauf-gaben wurden die Jugendlichen von den Filmemachern Miriam Pucitta und Michael Chauvistré begleitet. Auch in die improvisierte Musikvertonung durch den Aachener Bluesmusiker Dieter Kaspari wurden sie eingebunden.
„Wie geht Deutschland?“ und „Eine Banane für Mathe – angekommen in Deutschland“ werden am 26. Februar in der Nadelfabrik gezeigt.
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