Jüngst war Papst Franziskus zu Besuch in Irland, der nach Polen ersten außeritalienischen europäischen Adresse für tiefgläubigen Katholizismus. Es scheint, als sei der Besuch Seiner Heiligkeit etwas zu spät gekommen – ist doch in diesem Land jahrelang allzu viel Unrecht geschehen, hinter Klostermauern und vorgeblich im Namen des Herrn.
Irland leidet indes nicht allein am Bigotten, allerlei weitere Krisen erschüttern die Gesellschaft dort, nicht zuletzt haben die Folgen des Finanzcrashs Verwüstungen verursacht, deren Auswirkungen ganz besonders die zu spüren bekommen, die sie nicht verursacht haben: die kleinen Leute – die gleich wohl einander bekämpfen, belügen, betrügen, töten.
So ein Kleine-Leute-Drama steht im Zentrum des Romans, für den Lisa McInerney inzwischen viel Lob und Preis eingeheimst hat: „Glorreiche Ketzereien“ erzählt von einem Reigen aus Hoffnung, Liebe und Gewalt, jeweils stets begleitet auch vom Gegenteil – sowie von Alkohol und anderen Drogen.
McInerney zielt nicht auf den großen Spannungscoup, sie zoomt vielmehr ins Innere mehrerer Familien, ihrer Zerrüttungen, Konflikte, Versuche und Verseuchungen, ins Innere der Schuld, die in diesem kleinen Kosmos jeder hat und mit sich trägt, ganz gleich, woher sie kommt. Ihr glorreich-ketzerisches Mikrosittenbild, in kraftvolle, trotz aller Bitternis auch tragikomische Bilder gefasst (die ganz gelegentlich ins Überdrehte driften, macht aber nichts, weil der Rest so klasse ist), bildet mehr ab als nur „irische Beklemmung“, irische Befindlichkeiten. Bigotte Reigen finden auch in hiesigen Provinzen statt; mehr hiesige Autoren, die darüber so glorreich-ketzerisch schreiben, das wäre toll. \ Gitta List
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