Interview von Christina Rinkens
Radfahren in Aachen. Ein heikles Thema. Die Gemüter in Aachen scheinen erhitzt. Das Rad wird oftmals inzwischen fast ganz gemieden, wer sich drauf traut, wird mit bewundernden Blicken bedacht. Ist alles wirklich so schlimm? Und was könnte man denn machen? Wir haben bei der Stadt selbst nachgefragt und mit Uwe Müller über subjektive und objektive Sicherheiten, „endende Schutzstreifen“ und die Macht der Masse gesprochen.
In den letzten Wochen und Monaten häufen sich – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung – tödliche Unfälle von Radfahrern in Aachen. Haben Sie Zahlen zur Hand, die das Unfallrisiko von Radfahrern in Aachen deutlich zeigen?
Wir können dabei nur auf die Verkehrsunfallstatistik der Polizei Aachen verweisen, erst kürzlich wurde diese veröffentlicht. Im Jahr 2018 gab es demnach 347 Unfälle mit Beteiligung eines Fahrradfahrers. Im Jahr zuvor lag die Zahl noch bei 285 Unfällen. Eine Beobachtung, die man aber auch in anderen Städten machen konnte. Tödliche Unfälle gab es in den vergangenen Jahren vier: einen 2016, zwei 2017 und dieses Jahr der erst kürzlich passierte Unfall an der Vaalser Straße.
Mit diesen Unfällen geht ein hohes Unsicherheitsgefühl bei einem breiten Teil der Aachener Bevölkerung einher. So fühlen sich viele Aachener nicht sicher im Straßenverkehr und meiden das Fahrrad. Was könnte man aus Ihrer Sicht dagegen tun?
Fakt ist, dass Straßenabschnitte und bestimmte Situationen in Aachen Anpassungsbedarf haben. Besonders auf Hauptverkehrsstraßen, in den Nebenstraßen sieht die Sache schon anders aus. Zumal Tempo 30 natürlich auch insgesamt der Radinfrastruktur durch das entschleunigte Tempo entgegenkommt. Doch das Unsicherheitsgefühl nimmt zu, ja. Das ist eines der Themen, mit denen wir uns gerade beschäftigen. Die Radverkehrsinfrastruktur ist nicht statisch, sondern sie wächst. Und mit ihr auch die Ansprüche. Aachen war früher nicht wirklich eine Fahrradstadt. Dass sie nun aber eine ist, macht es erforderlich, auf kleiner Fläche möglichst viel umzusetzen. Nicht immer ist daher die Wunschbreite – die für alle zufriedenstellend wäre – realisierbar. Und nicht nur die Fahrradfahrer benötigen Platz, sondern auch die anderen Verkehrsteilnehmer.
Ein Vorschlag, wie man den Aachenern das Radfahren wieder schmackhafter machen könnte, und wie man Unsicherheiten abbauen könnte, wäre ein autofreier Tag in der Innenstadt. Wäre das keine Idee?
Ein solcher Tag wäre denkbar. Aber die Zeit ist dafür noch nicht reif. Auch wir können uns das vorstellen. Dieses Jahr steht allerdings der Fußverkehr für uns an allererster Stelle, da in Aachen beachtliche 30 Prozent der Wege zu Fuß zurückgelegt werden. Und auch hier gibt es viel zu tun. Also: Nicht dieses Jahr, aber ja.
Nach den tödlichen Unfällen wurden jeweils punktuell Maßnahmen ergriffen, die die betreffende Verkehrssituation entschärfen sollen. Warum nur punktuell? Muss denn erst was passieren, bevor gefährliche Stellen entschärft werden?
Wir sind an eben diesen Vorkehrungen gerade dran. Wenn nach einem schweren oder tödlichen Unfall die Unfallkommission entscheidet, dass dringender Handlungsbedarf besteht, so muss direkt gehandelt werden. Zeitgleich sind wir aber auch dabei, kontinuierlich Situationen und Stellen zu überprüfen, die ausgebessert werden müssen. Durch die prophylaktische Betrachtung wird entschieden, welches Instrument zum Einsatz kommen muss. Doch es gibt sehr viel zu tun, aber auch hier: Das alles braucht Zeit und Personal.
Um bei dem Unfall an der Vaalser Straße zu bleiben. Ein Abbiegeassistent, wie er Pflicht für Lastkraftwagen werden soll, hätte den Unfall verhindern können.
Richtig. Die Pflicht, zumindest für Schwerlaster, wird kommen. So lange müssen wir aber auf kurzfristige Lösungen setzen. So haben wir Spiegel angeschafft, die an heiklen Knotenpunkten in der Stadt die Sicht auf den Toten Winkel verbessern sollen.
Problem „endende“ Schutzstreifen – Beispiele dafür gibt es zahlreiche in der Stadt. Plant die Stadt hier eine umfassende Verbesserung?
Das ist tatsächlich ein Problem. Und dieses liegt daran, dass Straßen, auf denen Schutzstreifen markiert sind, bereits angepackt wurden. Also jede Straße, die umgebaut oder neu geplant wird, muss an die neuen Bestimmungen angepasst werden. Und eine solche Straße muss immer auch den Radverkehr berücksichtigen. Wenn aber nur Teilstücke angepackt werden, dann kommt es zu diesen „endenden“ Schutzstreifen. Für all diese Fälle gibt es ein Markierungsüberprüfungsprogramm, an dem wir stetig arbeiten.
Wäre es nicht auch eine Möglichkeit, in der Innenstadt beziehungsweise innerhalb des Alleenrings auf Tempo 30 herunterzusetzen?
Grundsätzlich würde bedingt durch die Entschleunigung natürlich auch die Verkehrssicherheit erhöht. Ein Antrag darauf wurde auch vor nicht mal einem Jahr im zuständigen politischen Ausschuss eingebracht und musste leider abgelehnt werden. Auch hier muss man sagen, dass es einem der Gesetzgeber nicht gerade einfach macht, so etwas selbstständig zu entscheiden. Bei der Einführung einer solchen ist man an enge Regeln gebunden. So muss eine Straße baubetrieblich selbsterklärend sein, einfach ein Schild hinzustellen, das reicht nicht. Nimmt man als Beispiel die Theaterstraße: Der derzeitige Aufbau der Straße mit ihrer vierstreifigen Fahrbahn erweckt den Eindruck, dass hier 50 km/h gefahren werden darf. Diese und weitere Straßen müssten dann komplett umgebaut werden.
Aber das ist doch eine tolle Gelegenheit. Zweistreifige Fahrbahn, viel Platz für Fahrradfahrer …
Wenn das so einfach wäre! In der Theaterstraße speziell kommen noch die Ansprüche an den Seitenraum, zum Beispiel der anliegenden Gastronomie und des Einzelhandels, die Parkstände, der Fußverkehr, und die Zufahrt als Hauptachse in die Stadt hinzu. Zumal auch zwei große Parkhäuser der Stadt über diese Straße angefahren werden. Ein typische Tempo 30-Straße könnte auf Markierungen verzichten, zumal in einer solchen Rechts-vor-Links üblich ist. Allein durch die Führung des Busverkehrs, der zudem auch immer schnell sein Ziel erreichen will, ist dies alles also nicht ohne Weiteres einfach umsetzbar.
Thema Radvorrangroute beziehungsweise Fahrradstraße. Wird jetzt erstmal nur das kurze Stück zwischen Wilhelmstraße und Harscampstraße umgebaut und das war’s dann?
Es werden sukzessive weitere Abschnitte folgen. Die Radvorrangroute in der Lothringerstraße ist in erster Linie die Fortsetzung der aus Eilendorf kommenden Radverbindung. Wir planen derzeit, 2020 mit dieser Radvorrangroute fertig zu werden. Das heißt nicht, dass damit dann alles erledigt ist.
Nun sind Radvorrangrouten ja nett und schön, aber diese führen zumeist durch ohnehin schon verkehrsruhige Straßen. Muss nicht zeitgleich an dem Ausbau der Radinfrastruktur auf den Hauptverkehrsstraßen gearbeitet werden? Beispielsweise an der Wilhelmstraße?
Ja, und das passiert. In der Wilhelmstraße beispielsweise sind Tiefbaumaßnahmen geplant, in deren Zuge auch dort etwas passieren wird. Aktuell wird an der Ludwigsallee gearbeitet. Nach der Fertigstellung wird es auch hier ein breiteres Angebot für Radfahrer geben. Ich hoffe, dass im Sommer auch in Aachen-Ost auf dem Abschnitt des Adalbertsteinwegs oberhalb der Stolberger Straße bauliche Maßnahmen passieren.
Sind Sie selbst und Ihre Familie in Aachen mit dem Rad unterwegs? Können Sie die Ängste und Vorbehalte vieler Aachener in Bezug auf die (subjektiv) fehlende beziehungsweise unzureichende Radinfrastruktur der Stadt nachvollziehen?
Wie bereits gesagt, kann ich die Ängste unsicherer Radfahrer nachvollziehen. Ich selbst fühle mich zwar sicher, weil ich auch persönlich viel mit dem Fahrrad unterwegs bin. Aber ich kann verstehen, dass das nicht allen so geht. Das sehe ich auch bei meinen Kindern, die mit dem Fahrrad unterwegs waren oder sind. Und dann suchen wir uns die entsprechenden Routen aus: Natürlich muss ich sie nicht entlang des viel befahrenen Boxrings schicken, sondern dann eben über die Neben- und Parallelstraßen. Das würde ich insgesamt ängstlichen und weniger routinierten Radfahrern raten. Der subjektiven Unsicherheiten sind wir uns also durchaus bewusst. Das geht aber nicht nur mit der Radinfrastruktur einher, sondern auch mit dem ohnehin engen stadtstrukturellen Aufbau Aachens und den damit einhergehenden engen Straßen.
Arbeitet die Stadt Aachen daran, weitere mögliche umweltfreundliche Alternativen zum Auto, neben der vermehrten Nutzung von Fahrrädern, zu schaffen?
Gemeinsam mit der Aseag arbeiten wir an Mobility Broker, einer digitalen Plattform, die die Mobilitätsangebote der Stadt Aachen vernetzt. Zukunftsthemen sind zudem auch urbane „on demand“-Lösungen. Aber auch das Projekt Regio-Tram, eine Straßenbahn, die eine der viel genutzten Pendlerstrecken in die Stadt aus Richtung Baesweiler besser einbinden soll. Das Projekt ist gerade erst gestartet, möglich wäre eine Führung dieser direkt bis zum Bushof. Aber wie gesagt: Das Projekt ist gerade erst gestartet. Parallel arbeiten wir auch an den Premiumfußwegen.
Das ist was?
Das sind zehn Fußgängerrouten raus aus der Innenstadt in die grünen Finger Aachens. Beispielsweise über die Jakobstraße und die Vaalser Straße bis in Johannisbachtal oder über die Lothringerstraße bis in den Moltkepark.
Und das sind dann besonders angenehm zu spazierende Wege oder wie muss man sich das vorstellen?
Es wird ein erkennbares Leitsystem mit angenehmer Beschilderung geben, zudem wird an der Barrierefreiheit gearbeitet und an der Attraktivität des Laufwegs, beispielsweise mit der punktuellen Pflanzung von Bäumen oder dem Aufstellen von Bänken.
Eine Bürgerinitiative will mit dem Radentscheid Aachen das Thema Radinfrastruktur vorantreiben. Was sagen Sie dazu?
Das ist eine Gruppe von sehr engagierten Leuten mit sehr ambitionierten Forderungen. Diese sind durchaus teilweise auch einleuchtend, jedoch müssten, um diese auch so umsetzen zu können, unsere Ressourcen deutlich erhöht werden. Zudem will der Radentscheid natürlich sehr viel für Fahrradfahrer, es gilt aber auch die vielen Fußgänger, den öffentlichen Personennahverkehr und die weiterhin bleibenden Nutzer von Autos zu beachten. Das alles macht es nicht einfacher, ich bin jedenfalls gespannt.
Eine These: Wenn einfach super viele Aachener aufs Rad steigen würden, würde dann nicht allein durch die hohe Anzahl der Radfahrer die Rücksicht auf diese mit steigen?
Es gibt Straßenabschnitte, auf denen ist es tatsächlich bereits so, dass dort mehr Radfahrer unterwegs sind als Autofahrer. Beispielsweise am Grabenring hin zur RWTH. Da könnte also tatsächlich was dran sein.
Also einfach mal wieder aufs Rad trauen und die Masse wird’s schon richten?
Könnte auf jeden Fall nicht schaden. Und natürlich auch eine erhöhte Rücksichtnahme aufeinander auf allen Seiten. Eine Entschleunigung des Verkehrs, in dem stressfrei agiert wird. Nicht noch eben die Ampel überqueren, nicht einfach schnell abbiegen. Doch das ist wohl eine Utopie … \
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