Leider habe ich „Breaking Bad“ nie gesehen, weshalb ich mir von Berthold Seliger erstmal erklären lassen musste, was Walter White genau meinte, als er sich im „Imperiengeschäft“ tätig wusste. Es geht im Imperiengeschäft nicht mehr darum, welche Ware man vertickt, sondern um die Errichtung möglichst umfänglicher Monopole, um Marktdominanz, bestenfalls im Zeichen „vertikale(r) und horizontale(r) Profitmaximierung“. Zu abstrakt? Schon, bis man dann von Seliger jede Menge originelles und glänzend aufbereitetes Material an die Hand bekommt, das einen sehr weiten Bogen zieht vom Monterey Pop Festival 1967 bis in die Gegenwart, um zu zeigen, dass und wie ein wie auch immer gegenkulturelles Paradigma in einigen Jahrzehnten Neoliberalismus bei gleichzeitiger Digitalisierung so komplett durchkommerzialisiert wurde, dass der provokante Vergleich von Drogenhandel und Konzert- und Festivalbranche durchaus tragfähig erscheint.
Im Falle der Konzert- und Festivalbranche handelt es sich, so Seliger, um die AEG (Anschutz Entertainment Group), CTS Eventim und Live Nation, die die Eventindustrie kapitalistisch umgekrempelt haben und bis in kleinste Nischen die Spielregeln der Musikkultur, wie wir sie schätzten, verändert haben. Weil sich die Eventindustrie zum Objekt von Hedgefonds und Private Equity Fonds verändert habe, vollzieht sich ein Strukturwandel hin zum Profit, weg von der Kunst. Seligers datenreich unterfütterter Befund ist ernüchternd: „Das Konzertwesen, selbst das Live-Geschäft ist mittlerweile von der Musik vollkommen abgekoppelt.“ Was bei den 360 Grad-Angeboten im Eventbereich inklusive Konzeption, Organisation, Marketing, Sponsoring, Merchandising und Zurichtung von Konsumenten des Immergleich-Systemkonformen auf der Strecke bleibt, ist dann das, worum es gehen sollte: die Kunst, das kenntnisreich und neugierig zusammengestellte, überraschende Programm, die Nachwuchs-Förderung, der geduldige Aufbau von Künstlern, ein gender-sensibles, um Parität bemühtes Programm, die Graswurzel-Clubkultur. Abgesehen davon, dass uns „Vom Imperiengeschäft“ einiger liebgewonnener Mythen beraubt und uns auf den aktuellen Stand bei einem Segment der Kulturindustrie bringt, sollte man auch die konstruktiven Vorschläge – Mindestgagen, „Kulturortschutz“ –, die Seliger anbietet, bedenken. Und: nach diesem Buch wird man nie wieder einen Konzert- oder Festivalbericht ernstnehmen können, der nur von der Musik erzählt. \ uk
Berthold Seliger:
„Vom Imperiengeschäft“
Edition Tiamat,
Berlin
344 Seiten,
20 Euro
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