Von Richard Mariaux

SHIFT ist ein im Aufbau befindliches Netzwerk regionaler Fotografinnen und Fotografen. Es ist eine internetbasierte Plattform für derzeit 13 Mitglieder und ein von der Städte­Region Aachen gefördertes Projekt, welches auch Ausstellungen im KuK der Städteregion Aachen in Monschau sowie – in Zusammenarbeit mit der Pariser Agentur MAGNUM-Photo – Workshops mit bekannten Mitgliedern der Agentur durchführt. Neue Mitwirkende sind willkommen. Eine Bewerbung zur Ausschreibung ist bis zum 16. September möglich.

Nie zuvor gab es mehr Verbreitungsmöglichkeiten für fotografische Arbeiten als heute. Die Digitalisierung und das Internet haben wesentlich dazu beigetragen. Auf der anderen Seite wird man als Bilderschaffender mit einem immer größer werdenden wirtschaftlichen Druck und der Selbstbehauptung in einem Zeitalter der Bilderfluten konfrontiert. Zudem gibt es immer die Auseinandersetzung mit sich selbst als Künstlerindividuum in einem Spannungsfeld aus wirtschaftlicher Abhängigkeit und künstlerischem Freiheitsdrang. Die Digitalisierung hat hier eine Verschiebung (engl. SHIFT) in der Herangehensweise der Fotografen und Fotografinnen und der Betrachtung bewirkt. So formulierte es SHIFT-Gründer Marco Röpke 2017. Die Leiterin des Kunst- und Kulturzentrum der Städteregion Aachen (KuK), Nina Mika-Helfmeier, verweist auf die Ansicht, dass nachdem es über 150 Jahre gedauert hat, bis die Fotografie endlich als vollwertige Kunstform anerkannt worden ist, jetzt von zahlreichen Kunstkritikern bereits ihr bevorstehendes Ende postuliert würde. Mit geschätzten 40 Milliarden geschossener Fotos sei ein Punkt erreicht, an dem keine neue ästhetische Aussage mehr möglich sei, so lautet die These.

„Ob sich die Fotografie nun neu erfindet oder ausgelaugt aus dem Kunstkontext verschwindet, bleibt die spannende Frage zur Zeit“, sagt Mika-Helfmeier. Aber das ficht weder sie noch die dreizehn aktiven Fotografen an. Man stehe ja schließlich erst am Anfang von SHIFT.

„Natürlich wird heute überall fotografiert, ohne Ende. Die Leute ziehen mit der Drohne los und finden viel vermeintlich Pittoreskes, das Flugzeugwrack im Wald vielleicht“, sagt zum Beispiel der unter anderem als Musikproduzent, Fotograf und WDR-Kameramann tätige Ernst Wawra. Der Blick der SHIFT-Leute ist ein anderer. Zu unterschiedlich sind ihre Arbeiten, sie eint eine starke Bildaussage und ein fotografisch-technisch hohes Können.

Die ursprüngliche Idee einer Online-Galerie hatte vor sieben, acht Jahren Marco Röpke, der dann schnell Ernst Wawra als Unterstützer an seine Seite holte: „Marco fragte mich, weil ich auch durch mein Musiklabel etwas Organisationserfahrung hatte. Außerdem hatte er meine Bilder mit den Ballonfahrten gesehen und gesagt: Wow, da muss man was draus machen.“

Röpkes Intention war „das Sichtbarmachen der künstlerischen Arbeiten von FotografIinnen, die normalerweise im Bereich der angewandten Fotografie unterwegs sind“. Er unterbreitete der KuK-­Leiterin Mika-Helfmeier seine Idee und dann wurde es auch mit der Homepage konkreter. Ernst Wawra: „Über die Zusammenarbeit mit Nina kam dann die Idee der Ausstellungen in Monschau, erst in Einzelausstellungen im Kabinett, dann in einer Gruppenausstellung im ganzen Haus, was eigentlich viel schöner ist, denn online gibt‘s ja genügend Plattformen für Fotografie aller Art, und wenn man dann mal die Bilder vergrößert und leibhaftig in einer Ausstellung sieht, das vermittelt schon einen ganz anderen Eindruck.“

Wawra ist ein gutes Beispiel für die kreativen und unterschiedlichen Möglichkeiten, die das Netzwerk nutzt. Seine Aufnahmen entstehen aus einem Fesselballon heraus. Circa 20 Mal im Jahr steigt er mit nach oben und sucht ein passendes Sujet in der Landschaft aus. „Meine Besonderheit ist ja, dass ich tatsächlich oben bin, und nicht nur eine Drohne. Das ist ein ganz anderer Moment, wenn man spontan oben was sieht und sich mit der Kamera schnell entscheiden muss“, erklärt Wawra den Unterschied.

Auch Jörg Hempel bildet so ein Alleinstellungsmerkmal: Der seit 1991 selbständige Fotograf mit vielen nationalen und internationalen Ausstellungen, fotografierte eine Serie nationaler Parlamente in Europa. Leergefegt in Abwesenheit ihrer Volksvertreter ergeben die rustikal bis futuristischen Räume aus dem stets gleichen Blickwinkel aufgenommen, eine „imperiale Ikonographie, machtpolitisch mit maximalem Pathos mit den klassischen Stilmitteln herrschaftlicher Autorität versehen“, die Hempel perfekt als verlassene „Quasselbuden“ im Bild festhält.

So bearbeiten alle SHIFT-Künstlerinnen und -künstler ihr Feld. Mit der Kamera „gemalte“ Stillleben oder Personenporträts die ­wirken wie aus dem 17. oder 18. Jahrhundert, sind fotografische Meisterwerke von Hugo Thomassen. Der vielbeschäftigte Fotograf aus Maastricht verantwortete unter anderem die offizielle Fotokampagne zur Kunst- und Antiquitätenmesse TEFAF, arbeitete für die italienische „Vogue“ oder eine Audi-Werbung.

SHIFT soll wachsen
Jetzt soll das SHIFT-Projekt in seine nächste Phase gehen – indem es um weitere Fotografinnen und Fotografen erweitert wird. Abgesegnet vom Kulturausschuss der StädteRegion Aachen kann die SHIFT-Expansion auf den Weg gebracht werden. Die Ausschreibung, die am 16. September 2019 endet, spricht alle an, die sich professionell der Fotografie widmen, sei es kommerziell, künstlerisch, journalistisch oder dokumentarisch. Der Arbeits- oder Lebensmittelpunkt muss innerhalb der Euregio oder dem angrenzenden Rheinland liegen. Aufgrund einer Vorab-Veröffentlichung in dem Fotomagazin „Photonews“ erreichten die StädteRegion bereits mehr als dreißig Bewerbungen – aus Berlin, Hamburg, Luxemburg und Dänemark. Nina Mika-Helfmeier erklärt es so: „Davon waren wir alle kolossal überrascht. Auch was das Einzugsgebiet angeht. Wir werden daher auch ein paar Bewerbungen außerhalb der Euregio berücksichtigen. Denn das ist ja ein lebendiger Austausch und die Neuen bringen ja auch wieder ihre Netzwerke mit. Viele Fotografen wollen auch keine Förderung, sondern eine Kommunikation untereinander und die Möglichkeit im KuK auszustellen.“

Das letzte Wort in einer Jury, zu der auch Mitglieder der Gruppe sowie zwei externe Galeristinnen gehören, obliegt Mika-Helfmeier. Ernst Wawra ist froh, dass es diese Instanz gibt, „weil ich nicht selber der Initiator und Entscheider sein will.“ Nina Mika-Helfmeier präzisiert: „Jeder hat seinen Bereich. Aber die Auswahl muss ganz gezielt verlaufen. Nicht alle Arbeiten gelangen in das Online-Portfolio. Sie müssen sich ergänzen, die Bilder müssen in Kontrast zueinander stehen. Das ist echte Arbeit und die mache ich sehr gewissenhaft. Da überlasse ich nichts dem Zufall, in Respekt für die Künstler aber auch in Respekt vor der Gruppe.“  \

Das Projekt
Folgende Fotografinnen und Fotografen gehören aktuell dem SHIFT-Projekt an:
Florian Beckers, Andrea Borowski, Carl Brunn, Joost Faas, Jörg Hempel, Andreas Magdanz, Johanna Reich, Marco Röpke, Marco Rose, Manja Schiefer, Peter Stollenwerk, Hugo Thomassen, Petra Warrass, Ernst Wawra.

Vernissage
In einer Doppelvernissage zusammen mit der Mauerfall-­Jubiläumsausstellung am Sonntag, den 29. September im KuK zeigt Andreas Magdanz, Preisträger des Wettbewerbs „economy meets art“ (EMA), Photographien seines neuesten Projektes im Rahmen des im nächsten Jahr stattfindenden 150 Jahre-RWTH-­Jubiläums. Die Bilder sind bis zum 6. Oktober im Kabinett des KuK zu sehen.

Website Shift Photo