In der wuchtigen Bibliothek des Suermondt-Ludwig-Museums (SLM) an der Aachener Wilhelmstraße liegt ein Berg Bücher und Kataloge.
Nicht Werke niederländischer Maler des 17. Jahrhunderts sind darin abgebildet, sondern die Bilder von Meistern der Lichtbildkunst: Fotografie im Museum. Eine Frau hat sie für das Aachener Haus „hoffähig“ gemacht: Sylvia Böhmer blickt stolz auf die Bücher, denn sie reflektieren ihr Werk. Mehr als 50 Ausstellungen hat sie in über 25 Jahren kuratiert, die Bilder von großen bekannten Fotografen, aber auch von den Könnern, die weniger im Rampenlicht stehen, ins SLM geholt und damit dem Haus nicht nur beachtenswerte Besucherzahlen, sondern auch ein neues Markenzeichen beschert.
Jetzt ist Sylvia Böhmer zum Jahreswechsel in den Ruhestand getreten und hat ein Werk hinterlassen, das eigentlich eine Nachfolge benötigt. Die ist aber derzeit nicht abzusehen. Dabei ist Fotografie im Museum landesweit ein Publikumsmagnet. „Die Fotografie hat nicht nur hier in unserer Region einen hohen Stellenwert bekommen“, sagt Sylvia Böhmer. Und damit meint sie nicht die Massenware der Instagram-Lemminge. Das anspruchsvolle Bild der erst 180 Jahre alten Fotografie fasziniert vor allem immer mehr junge Menschen, hat Sylvia Böhmer festgestellt.
Wenn sie die Werke wie beispielsweise von Chargesheimer, Lotte Jacobi, Karl Blossfeldt, Dorothea Lange, Jim Rakete, Willy Ronis, Werner Bischof, Sabine Weiss, Roger Melis, Dennis Stock und dem Aachener Stern-Fotografen Dirk Reinartz zeigte, dann fiel auf, dass die Kuratorin und Kunsthistorikerin eine Vorliebe für klassische Schwarz-Weiß-Bilder hat. Sie vertritt die Meinung: „Die Farbfotografie sucht neue Effekte und besitzt auch eine andere Erzählstruktur. Heute lässt der ständige Umgang mit einer überbordenden Bilderflut uns ja in der Regel nur noch reagieren, wenn der Bildeffekt wirklich provokant anders ist. Schwarz-Weiß-Fotos sind da in gewisser Weise eine Erholung von dieser Erscheinung. Die unbunten Bilder sind auch Botschafter einer Zeit, in der Fotografie noch eine andere Bedeutung hatte.“
Sylvia Böhmer macht keinen Hehl daraus, dass sie besonders Werke von Bildjournalisten mag. Dazu hat sie stets gerne Bilder gezeigt, die heute neumodisch mit „Street Photography“ bezeichnet werden, was nichts anderes bedeutet, dass der Fotograf raus gegangen ist und das Leben auf der Straße eingefangen hat. Und vielleicht liegt hier auch das Geheimnis ihres Erfolges beim Publikum: „Fotografie ist ein Medium, das eher anspricht als beispielsweise die Malerei. Hier spielen sehr die Emotionen mit, was sich nicht zuletzt in den Eintragungen in unseren Ausstellungs-Besucherbüchern widerspiegelt“, sagt Sylvia Böhmer. Dazu würden oft Erinnerungen beim Betrachter geweckt und die hohe Bildästhetik geschätzt.
Die Kuratorin ist stolz darauf, dass sie alle ihre Ausstellungen selbst bestimmen und auch die Bildauswahl immer eigenständig vornehmen konnte. Und ihr Bilderblick verstand es stets, auch die Besucher zu berühren. Es waren meist Alltagssituationen, gepaart mit hohem fotografischen Können, die den Betrachter in Bann zogen: Der richtige Moment, das richtige Licht, die richtige Perspektive.
An solche Fotos zu kommen, war nicht immer ganz leicht. Sylvia Böhmer aber hat sich in der Branche einen Namen gemacht und ein solides Netzwerk von Kontakten zu namhaften Sammlern, einer Reihe wichtiger Agenturen und zu direkten Nachfahren der Fotografen geschaffen. Dies kann nur gelingen, wenn man über hohe Fachkompetenz und verlässliche Professionalität wie sie verfügt.
Als Sylvia Böhmer 1986 ihre Stelle als Kuratorin im Suermondt-Ludwig-Museum antrat, war an das Medium Fotografie als Kunstobjekt in den ehrwürdigen Hallen noch nicht zu denken, erinnert sich die gebürtige Siegenerin. Sie hatte ihr Studium der Kunstgeschichte mit dem Schwerpunkt „Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts“ hinter sich gebracht und zunächst in Bonn ihre erste Museumsstelle angetreten. Dort war Klaus Honnef, ehemaliger Kulturredakteur der Aachener Nachrichten, ihr Chef. Er behandelte die Fotografie schon damals als Kunstobjekt und sorgte dafür, dass es auch bei Sylvia Böhmer „klick“ machte. Honnef drückte quasi den Auslöser bei ihr. Später in Aachen, stieß Sylvia Böhmer bei ihren Kollegen von „Kunst in NRW“ in der alten Reichsabtei in Kornelimünster auf Bilder des Altmeisters Albert Renger-Patzsch. 40 wertvolle Fotografien schlummerten dort. Im Alten Kurhaus wurden sie Ende 1993, von Sylvia Böhmer kuratiert, der Öffentlichkeit gezeigt: Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte.
„An der Fotografie hängt mein Herzblut“, verrät sie im Gespräch, gesteht aber gleichzeitig, selber nur im Urlaub zur Kamera zu greifen und einfache Erinnerungsbilder zu machen. Denn: „Für ein gutes Bild genügt es nicht, einfach nur klick zu machen.“ \ Manfred Kistermann
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