Reif Larsens Romandebüt „Die Karte meiner Träume“ ist ein wildes Buch. Der Text ist umgeben von Fußnoten, Anmerkungen, Skizzen, Zeichnungen, Landkarten und Diagrammen.
Weil all das, was im Kopf des jungen Erzählers T.S. Spivet vor sich geht, nie und nimmer allein durch Buchstaben wiedergegeben werden kann. Der im wahrsten Sinne des Wortes überbordenden Fantasie dieses Romans hat sich nun der französische Filmemacher Jean-Pierre Jeunet („Die fabelhafte Welt der Amélie“) angenommen – und man könnte sich keinen besseren -Regisseur für den Stoff vorstellen.
T.S. Spivet (Kyle Catlett) lebt mit seiner Familie auf einer Farm in Montana umgeben von grünen Weiden und majestätischen Bergen. Während andere Jungs in seinem -Alter mit dem Luftgewehr auf Büchsen schießen, beschäftigt sich T.S. mit naturwissenschaftlichen Experimenten und mathematischen Formeln.
Ganz nebenbei hat der selbsternannte Leonardo da Vinci von Montana gerade das Perpetuum Mobile erfunden. Dafür soll er nun am renommierten Smithsonian Institute in Washington mit einem Preis geehrt werden, auch wenn die Honoratioren nicht ahnen, dass der geniale Erfinder noch die Schulbank drückt.
Und so steigt der Junge am frühen Morgen heimlich auf einen Güterzug und folgt seiner genau berechneten Route über den halben Kontinent in die US-Hauptstadt.
Waren Jean-Pierre Jeunets Werke bisher reine Studioproduktionen, in denen jedes Detail kontrollierbar war und der visuelle Stil stets auf die artifizielle Herstellung der Bilder verwies, öffnet der Regisseur diesmal sein Konzept für weite Landschaftsaufnahmen und saftig grüne Naturkulissen.
Hier wird mit Westernmotiven gespielt und ein Railroadmovie entworfen, in das sich Jeunets -Liebe zum surrealen Detail organisch einfügt. „Die Karte meiner Träume“ verschreibt sich ganz und gar der subjektiven Weltsicht des jungen Protagonisten, dessen brillanter Geist die Wirklichkeit als großes Abenteuer wahrnimmt.
Kreativität und wissenschaftlicher Forschungsdrang verschmelzen zu einer liebenswert-skurrilen Figur fernab aller Nerd-Klischees. Dabei geht es im Herzen des Films um die Bewältigung eines Verlusttraumas und den mühsamen familiären Heilungsprozess.
Die Stringenz der Literaturvorlage kanalisiert den oftmals ausufernden Ideenreichtum des französischen Ausnahmeregisseurs, was neben der visuellen Opulenz auch emotional zu einem reichhaltigeren Filmerlebnis führt. \ Martin Schwickert
Start: 10.7.
Bewertung der redaktion
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