Von Tanja Sprungala
Vergessen Sie alles, was Sie je über Rossinis „Barbier von Sevilla“ wussten, wenn Sie in diese Inszenierung gehen. Nein, nicht alles! Die Grundstory bleibt bestehen: Graf Almaviva verliebt sich in Rosina, die er mit Hilfe seines Vertrauten Figaro mit allerlei Tricks und Kniffen aus den Fängen ihres Vormundes, Don Bartolo, befreien und heiraten will.
Einen neuen Rahmen erleben
Aber Sie sollten vorbereitet sein, dieses bekannte Werk in einem völlig neuen Rahmen zu erleben. Joan Anton Rechi, der vor zwei Jahren schon eine mitreißende „Cenerentola“ von Rossini auf die Aachener Bühne brachte, lässt uns an der Verfilmung einer kitschigen Schmonzette in Telenovela-Format teilhaben, eben jener Liebesgeschichte zwischen Almaviva und Rosina. Die Bühne wird zum Fernsehstudio, die einzelnen Protagonisten zu Schauspielern, Regisseur, Kameramann, Ansagerin und so weiter und so fort.
Das kann doch nicht funktionieren, meinen Sie? Da liegen Sie falsch, denn Rechis Regiekonzept ist schlichtweg genial umgesetzt und nutzt Rossinis spielerisch-komische Musik und das Libretto auf maximale, brillante Art und Weise. Gut, die ersten fünf Minuten waren gewöhnungsbedürftig, aber wenn man sich richtig darauf einlässt, macht Rechis Idee einfach nur Spaß und reizt die Lachmuskeln.
Geradezu bestechend ist, wie Rechi den Text des ersten Aktes nutzt, um die Figuren zu Schauspielern und zur Filmcrew werden zu lassen, die während des Drehens und in den Pausen dazwischen sich mal als Diva aufführen (herrlich komisch: Rosinas berühmte Arie „Una voce poco fa“), über eine vermeintliche Kostümierung aus der Haut fahren (Was? Der Graf soll sich als Soldat verkleiden?) oder einfach nur ihren Text üben.
Den zweiten Akt beginnt der Regisseur mit einer „Vorführung“ eines Teiles des fertigen Endprodukts, und im großen Finale nimmt er schließlich auch noch diverse Castingshows und verkappte Dauerwerbesendungen auf die Schippe (London, Regen: die Frisur hält).
Keine Wünsche übrig
Das Sängerensemble läuft dabei zu einer Spielfreude und Form auf, die nichts, aber auch gar nichts zu wünschen übrig lässt. Für das Regieteam um Rechi und für seinen Bühnenbildner Flores gab es Standing Ovations und lautstarken Jubel.
Auch musikalisch machte der Abend Spaß. Nach einer noch etwas zurückhaltenden Ouvertüre führte Volker Hiemeyer das Sinfonieorchester mit Verve und viel Einfühlungsvermögen für das Sängerensemble durch Rossinis spritzige Partitur. Cordelia Katharina Weil gab eine fantastische Rosina mit warm timbriertem Mezzosopran und ließ die schwierige Partie vollkommen mühelos erscheinen. Auch Katrin Stösel, in der kleinen Rolle der Berta (hier die hinreißend charmante Moderatorin des Abends), entzückte mit technisch sauber geführter und angenehmer Stimme.
Ein wunderbarer Figaro
Hrólfur Saemundsson war ein wunderbarer Figaro und bewies einmal mehr seine Klasse, auch darstellerisch als leicht tuntiger Friseur. Für den Grafen ist Patricio Arroyos Stimme eigentlich nicht groß genug, aber dies ließ er mit seinem machomäßigen, divenhaften Gernegroß-Schauspielstar schnell vergessen. Eine sehr schöne und reife Leistung zeigte Maximilian Krummen als Fiorello, der drei Jahre nach der Hochschulproduktion von Dido und Aeneas, in der er damals die Hauptrolle hatte, einen enormen sängerischen Sprung gemacht hat. Pawel Lawreszuk als Don Bartolo und Ulrich Schneider als Don Basilio gaben ein herrliches Paar ab.
Und wieder mal ein besonderes Lob für die Chöre, dieses Mal ja nur die Herren: Wie sie die Filmcrew und diverse Charaktere im Hintergrund gaben, war einfach darstellerisch sensationell. Karten gibt es im Kapuziner Karree bei Klenkes-Tickets. ///
4., 6., 9. und 14.7.
„Der Barbier von Sevilla“
19.30 Uhr, Bühne, Theater Aachen
WEITEREMPFEHLEN