Worte können schwer sein. Vier bizarre Gestalten lungern auf der Vorderbühne des Theater Aachen herum und versuchen eine Warnung auszusprechen. Immer wieder stocken sie, brechen ab, versuchen es nochmal: „Sprechen Sie nie mit Unbekannten!“ Ein Rat, der natürlich nicht eingehalten wird. Und so beginnt ein gewaltiger Theaterabend, der auch vor Metaphysik, Zwangsregimen und Lebensphilosophie nicht zurückschreckt.
Vorahnungen
Es ist ein Frühlingsabend, als der Dichter Iwan Nikolajewitsch (Tim Knapper) und der Chefredakteur Michail Alexandrowitsch Berlioz (Rainer Krause) über die Existenz Jesu Christi diskutieren. Hätten sie doch bloß den Rat, nicht mit Unbekannten zu sprechen, befolgt, denn der Teufel Voland (Karsten Mayer), der sich zunächst als Sachverständiger ausgibt, schaltet sich in ihr Gespräch ein. Der dunkel gekleidete Mann mit Zylinder behauptet nicht nur, mit Kant gefrühstückt und Pontius Pilatus persönlich getroffen zu haben, sondern scheint auch Vorahnungen von zukünftigen Ereignissen zu haben.
Nikolajewitsch und Berlioz erklären ihn schnell für verrückt. Doch diese unheimliche Begegnung ist für den einen der Anfang einer furiosen Verfolgungsjagd durch Moskau, die schließlich in einer psychiatrischen Einrichtung ihr vorläufiges Ende findet, für den -anderen gar der Auslöser eines noch viel größeren Unheils. Immer mehr -Charaktere treten auf und greifen in die Handlung ein. Ein großes Gemälde, das Stalin zeigt, ist immer wieder zu sehen. Mehr als eine Stunde dauert es, bis schließlich der Meister -(Philipp Manuel Rothkopf) und seine Geliebte Margarita (Elke Borkenstein) auftreten.
Schnelle Rollenwechsel
Zehn Schauspieler spielen insgesamt 50 Rollen und genießen offensichtlich ihren Rollenwechsel. Eine Band mit vier Musikern, darunter -natürlich auch Malcolm Kemp, spielen unter anderem Schlagzeug, Geige, Kontrabass und Akkordeon und werden selbst Teil der Erzählung, erscheinen dem Publikum dank ihres Hochsitzes wie die Kapelle in einem riesiegen Zirkus. Norbert Bellens Bühne zeigt eine heruntergekommene -Fabrik mit zerborstener Fensterscheibe an der Rückwand. Es gibt mehrere erhöhte Spielebenen, eine Falltür, es dampft, raucht, brennt und explodiert überall.
Wild geht’s zu, wenn einer seinen Kopf verliert, der nächste anfängt Leute von A nach B zu teleportieren oder in Unterhosen zu attackieren. Und dennoch verliert man nie den Faden, weil Bernadette Sonnenbichler trotz Tempo und lustvoller Absurdität überraschend entspannt erzählt und das Theater in ein regelrechtes Varieté verwandelt. Gute dreieinhalb Stunden dauert die Aufführung, und manch einem wird danach der Kopf schwirren. Es passiert eben viel in „Der Meister und Margarita“. Und das hat Sonnenbichler mit einem spielstarken Ensemble und vielen, vielen fleißigen Mitarbeitern detailgetreu und einfühlsam auf die Bühne gebracht. Belohnt wurden alle mit einem großen Applaus. \ kw
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