Frau Franzen, warum beschäftigt sich das Ludwig Forum anlässlich des Jubiläums so intensiv mit dem Fotorealismus?
Das hat mehrere historische Stränge. Die erste Ausstellung, die Wolfgang Becker 1970 in der Neuen Galerie gemacht hat, war „Klischee + Antiklischee“. Diese Ausstellung hat sich dem Fotorealismus gewidmet. Dort wurden viele Werke gezeigt, die wir nun wieder präsentieren. Die Neue Galerie war unsere Vorgängerinstitution, das sind unsere Wurzeln. Wir wollen in diesem Jahr nicht nur Neues zeigen, sondern uns auch selber befragen: Wo kommen wir her? Wenn wir vom Sammlungsbestand ausgehen, dann ist das „Hyper Real“. Im Jahresprogramm gehen wir dann mit dem Projekt von Susan Philipsz ein Stück weiter und zeigen aktuelle Kunst. Und mit „Nie wieder störungsfrei!“ versuchen wir den Bogen wieder nach Aachen zu schlagen und auch auf die Sechziger und Siebziger und bis zum Beginn des Ludwig Forums. Was hat Aachen beigetragen? Was ist passiert, welche Akteure waren hier?
Ist die Fokussierung auf Aachen kunstgeschichtlich wirklich so interessant?
Es ist hoch interessant. Viele reden immer über dieses Fluxus-Ereignis im Audimax im Jahr 1964, das war ja eigentlich nur eine Initialzündung, wo sich etwas Bahn gebrochen hat, was in der Folge zu sehr, sehr spannenden Aktionen geführt hat. Zum Beispiel in der „Galerie Aachen“ in der Wallstraße, im „Zentrum für aktuelle Kunst – Gegenverkehr“ und in der Neuen Galerie. Hier haben bedeutende Personen Spuren hinterlassen, so wie Peter Roehr, den man jetzt erst nach und nach wieder entdeckt. Ein deutscher Konzeptkünstler, der aus Frankfurt stammt und seine einzige Ausstellung außerhalb von Frankfurt hier in Aachen hatte, nicht in Köln, nicht in Düsseldorf, sondern hier. Und Gerhard Richter hatte eine seiner ersten Retrospektiven – wenn man das so nennen kann – 1968 hier im „Gegenverkehr“. Und bezieht sich auch immer wieder bis heute darauf. Und bei Beuys spielt Aachen auch so eine Art Erweckungserlebnis. Diese Ereignisse und Verbindungen mal rauszupinseln, wie ein Archäologe, das ist hoch spannend – und längst mal nötig.
Ist das für Sie und die Stellung des LuFos auch politisch wichtig?
Ja, klar. Nicht nur bezogen auf die Kulturpolitik. Ich finde das auch kunstpolitisch wichtig, um selbstbewusst zu sagen: Leute, hier stehen wir.
Ende 2009 mokierten sich einige Mitglieder im Kulturausschuss über die schlechten Besucherzahlen. Ihre Arbeit wurde von manchen als „zu intellektuell für Aachen“ kritisiert. Gehen wir einen Schritt in die Zukunft: Wie soll man Ende 2011 auf das Jahr im LuFo zurückschauen?
Das soll das Jahr werden, in dem wir ein paar Pflöcke einschlagen können. In mehrerlei Hinsicht. Auf der einen Seite natürlich auch innerhalb Aachens und der Region. Es soll noch mehr Leuten deutlich werden, was hier für Schätze sind und was für eine hochwertige Arbeit im Haus geleistet wird. Dass man nicht nur nach Köln, Düsseldorf und New York fahren muss, um die große weite Welt der Kunst zu erfahren. Ich möchte auch einen Pflock einschlagen in Richtung überregionale Wahrnehmung. Weil wir da immer noch strampeln, um zu zeigen, was hier im äußersten Westen passiert. Und damit wollen wir auch in der journalistischen Wahrnehmung höher rutschen in der Rangliste.
In Aachen hat es sich etabliert, auf das LuFo als Veranstaltungsort zuzugreifen. Steht das der Positionierung Ihres Hauses im Weg?
Es muss klar sein, dass das LuFo kein „Bürgerhaus“ im eigentliche Sinne ist. Im übertragenen Sinne sind wir natürlich ein Haus für alle Bürger. Aber wir sind nicht das Bürgerhaus Bornheim, wo man alles machen kann, vom Flohmarkt über die Theateraufführung bis hin zur Geburtstagsfeier. Sondern unsere primäre Aufgabe ist es, ein Haus für zeitgenössische Kunst zu sein. Abi-Feiern können gerne im Garten, im Hof oder in der Loggia stattfinden. Aber nicht in der Mulde. Weil da nebenan ein 10 Millionen Euro teures Kunstwerk hängt, was nicht verglast ist! Worüber ich auch sehr froh bin, weil es eben auch eine sehr authentische Wahrnehmung ermöglicht, wie man sie zum Beispiel im MoMa in New York nicht mehr hat, weil da alle Werke verglast sind.
Im Kulturbetrieb und bei vielen Politikern hat Ihre Haltung auch schon mal für Stirnrunzeln gesorgt. Hat sich das beruhigt?
Ich glaube, dass dort wahrgenommen wurde, in welche Richtung es grundsätzlich gehen sollte. Aber es ist immer schwierig, alte Gewohnheiten zu verändern. Keiner stellt den Forumsgedanken grundsätzlich in Frage, es geht um eine Neuinterpretation. Wenn man ihn so versteht, wie ich, dann sollen hier durchaus auch Performances, Workshops und Aktionen stattfinden. Aber eben nicht losgelöst. Auch nicht als Carte Blanche für jede Art von Veranstaltung. Ich denke, dass es in der Kulturpolitik positiv ankommt, wie sich das Haus jetzt entwickelt.
Welche Folgen hat der Tod von Irene Ludwig für Ihre Arbeit?
Wir haben sehr, sehr gerne mit ihr zusammengearbeitet. Sie hat mich immer angefeuert und ideell sehr unterstützt, ganz zu schweigen von dem finanziellen Engagement der Ludwig Stiftung. Was die Konstruktion der Stiftung angeht, ändert sich zunächst gar nichts. Es ist auch verbrieft, dass wir nach wie vor unterstützt werden. Wir werden bei „Hyper Real“ eine der letzten Aktionen erleben, die Irene Ludwig mitgetragen hat. Wir haben gemeinsam mit Matti Braun acht Skulpturen konzipiert. Das sind Werke, die man als Sofas benutzen kann. Wir werden sie bei der Eröffnung einweihen. Und dadurch, dass Isabel Pfeiffer-Poensgen jetzt den Sitz des Stiftungsbeirates übernommen hat, sind wir in einer guten Position. Sie ist Aachen sehr verbunden, sie ist uns sehr verbunden.
Wachsen dem Haus noch Werke zu?
Ja sicher, wir haben den festen Bestand, der als Dauerleihgabe in unserem Besitz ist. Und natürlich können wir nach wie vor Vorschläge für weitere Ankäufe machen.
Gibt es seitens der Stadt Tendenzen, nach Irene Ludwigs Tod über eine grobe Richtungsänderung zu debattieren?
Nein, es gibt keine Debatte.
Ist ja nicht so abwegig, wenn man sich anschaut, wie auch Kulturthemen in der umstrittenen Online-Abstimmung platziert worden sind.
Das ist Meinungsmache. Was ich mir einfach wünsche, ist, dass man sich dieser vorhin genannten Dinge bewusster wird. Es geht um die Definition von Zugpferden für die Stadt – und die Politiker sollten den Mut haben, diese zu benennen. Und da ist beispielsweise nicht nur der Dom oder der Campus, sondern da sind auch wir. Wir sind das größte Museum hier in der Stadt.
Fehlt Ihnen die Wertschätzung?
Nein, das LuFo wird wertgeschätzt. Das steht doch außer Frage, aber ein Bedauern darüber, dass zum Beispiel die Andreas Fogarasi-Ausstellung nicht von 30.000 Leuten besucht wurde, ist in sofern obsolet, als dass sie uns einen Bericht im „Artforum“ in Amerika eingebracht hat. Wenn Sie überlegen, was alleine eine Anzeige in der „New York Times“ oder im „Artforum“ selber kostet, und wir damit einfach Werbung für Aachen machen, dann müsste eigentlich ziemlich klar sein, dass die 25.000 Euro, die in die Ausstellung flossen, gut investiert waren. Da müssen wir noch ein bisschen weltläufiger werden. Wenn man über Marketing spricht, bedeutet das auch ein bisschen mehr, als am Ende nur Besucherzahlen anzuschauen. Es geht um Imagebildung und darum, einen „coolen“ Ort zu definieren.
Interview: Lutz Bernhardt/Dirk Tölke
Foto: Belinda Petri
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